Ohne Ö fehlt uns was

Ein Kommentar von Harry Assenmacher zum Klima-Bericht des IPCC.

Harry Assenmacher

Keine Sorge, ich will Sie nicht langweilen mit dem x-ten Beitrag zum Klimawandel und den für uns Menschen bedrohlich-beängstigenden ökologischen Folgen. Zum Thema Ökologie ist alles Notwendige gesagt und geschrieben.

Wer wissen will, der weiß. Nein, wir müssen uns mit langweiligeren Dingen als Ökologie beschäftigen – der Ökonomie. Diese ‚Ö‘-Worte sind zwei Seiten einer Klimawandel-Medaille. Dabei ist unsere Ökonomie genauso menschengemacht, wie der Klimawandel selbst. Deswegen ist letztlich auch beides nur gemeinsam zu ändern.

Regenwald-Vernichtung? Sollte nicht sein. Ganz schlimm für den Planeten. Micro-Plastik? Sollte nicht sein, sowenig wie SUVs, Glyphosat, Wegwerfmode, Ölheizung, Freie Fahrt für freie Bürger, Mallorca-Flugurlaub, Zweithandy, Überkonsum oder auch nur Plastikbesteck. Gut – Letzterem geht es jetzt allmählich an den Kragen. In der Wegwerfbesteckindustrie sind vermutlich Arbeitsplätze gefährdet. Manche Postwachstums-Anhänger sehen in sowas kleine, aber feine Beispiele wie es gehen könnte: Einfach weniger dann wird’s schon. Motto: „Sind KiK und Schick erst weg, ist auch der Klimawandel bald kein Schreck.“

Glücklicher sind wir zudem, weil wir dann die wirklich sinnstiftenden Dinge in unserem Leben erkennen, wie die meist professoralen Propheten in ihren gut verkauften Büchern die profane Konsum-Menschheit wissen lassen. Wenn das alles immer noch nicht reicht, dann reden wir einfach mal mit den Bäumen, pflanzen welche oder besser nicht (je nachdem welcher Försterfraktion man grad angehört) lassen die Natur, die wir vernichtet haben, mal Natur sein und alles wird sich schon wieder einrütteln. Egal welcher Meinung: Alle sind sich einig – so kann es nicht weitergehen.

Viele Worte, wenig Taten

Das Problem ist nur: Je mehr über die Notwendigkeit zum Weniger und Anders geredet wird, desto mehr läuft das „weiter so“ und wird von allem mehr. Zuviel ist längst nicht genug.

Die ethisch und moralisch pieksauberen Analysen über unser zerstörerisches Verhalten, die Appelle und Ratgeber zu sauberem, ökologisch-nachhaltigem Verhalten sind längst zu einer eigenen Industrie geworden. Wie ein Tsunami ergießen sich Nachhaltig-Leben-Ratgeber und  Klimainitiativen über uns. „Hamburg wird Fahrradstadt“ und gleichzeitig werden 50.000 PKW neu zugelassen. Auch bundesweit (ach, weltweit) crasht die Verkehrswende glatt gegen eine Mauer aus Millionen neuer Autos, wie der päpstliche Aufruf zum Weltfrieden an die schier endlose Abfolge von Kriegen und Massenmorden, die den Globus überziehen. Warum so viele Worte und Erkenntnisse über Moral, Menschlichkeit, Ökologie, die Folgen von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und doch so wenig Änderung? Wenn richtig ist, dass Weisheit Wissen umgesetzt in die Tat ist – dann ist die Menschheit offensichtlich entweder strunzdumm oder irgendwas im „System“ arbeitet beständig gegen jede Erkenntnis.

Eine Weltkugel aus Plastik liegt auf grünem Rasen.
Viel Gerede, wenig Änderung. Foto: unsplash

Rückwärts geht immer, wenn man vorwärts will wie bisher

Einige neigen dazu ob der Undurchschaubarkeit ‚des Systems‘, in solchen Situationen Schuldige oder gar Sündenböcke im Geheimen zu suchen. Die letzten Pandemiejahre haben erhellend vor Augen geführt, wie viele Menschen gern andere höchst verdeckt organisierte Menschen, Gruppen oder Unternehmen zu Schuldigen machen. Da wird der Social-Media-Koch zum Social-Media-Messias, der die Weltenformel entdeckt hat. Und manch unangenehme Persönlichkeit sehnt sich nach den ‚guten alten Zeiten‘ zurück, als noch alles seine Ordnung hatte. Rückwärts geht immer, wenn man vorwärts will wie bisher.

Dagegen sind Postwachstums-Schlichtheits-Ideologen, zumeist gebildeter (um ehrlich zu sein, auch viel sympathischer und honoriger) aber lasten letztlich die Verantwortung und Schuld „den Menschen“ an. Irgendwie stimmt das am Ende ja auch. Unser Konsumwahn ist das Problem. Warum werden so viele Autos gebaut? Weil wir so viele kaufen. Also keine Autos mehr kaufen (Wahlweise T-Shirts, Joghurt, Kaffeebecher …) und schwupp, Umwelt gerettet. Die Idee ist irgendwie so zielführend, wie der Ratschlag bei Dauerfieber doch einfach die Körpertemperatur zu senken und nicht mehr zu schwitzen. Kann und muss man natürlich im Notfall mit passenden Medikamenten erstmal machen. Ohne die Ursache für das Fieber, die eigentliche Erkrankung, zu diagnostizieren und zu beseitigen, kommt man aber letztlich nicht weiter.

Da gibt der zur Veröffentlichung erst 2022 vorgesehene, aber jetzt geleakte 3. Teil des IPCC Berichts einen ersten Hinweis. Dem bedrohlichen Symptom „Ökologisches Fieber“ unserer Erde liegt womöglich ein „ökonomisches Virus“ zu Grunde. Denn bei der Ursachenforschung für den Klimawandel stoßen die Forscher hier auf solche Ergebnisse: Die zehn reichsten Prozent der Menschheit sind für fast die Hälfte aller Emissionen verantwortlich. Oder beim besonders klimaschädlichen Luftverkehr: Nur ein Hundertstel (1 Prozent) der Menschheit verursacht die Hälfte aller Emissionen im Luftverkehr. Und dabei war noch gar nicht berücksichtigt, dass Milliardärs-Oligarchen bereits mit neuen Freizeitaktivitäten im Weltall für zahlungskräftige Kunden aufwarten wollen.

Symptombekämpfung an der Oberfläche

Diese spektakulären und medienwirksamen Ereignisse sind aber – wie auch beim „kleinen Mann‘“und seinem Alltagskonsum, ebenfalls nur die Oberfläche. Außerdem kann man ja die fiebersenkende Medikamentendosis für den Patienten Erde erhöhen. Zum Beispiel mit emissionsarmen Triebwerken, sauberen E-Motoren für Autos oder gar einfach via Emissionshandel. Alles, damit es im Prinzip so weitergeht wie bisher. Noch effizienter Verschwenden und Umwelt zerstören. Richtig, wie auch bei der Notfallmedizin muss man den Patienten erstmal lebend bis in die Klinik bringen. Aber dann muss man an die Ursache ran, sonst hilft auch die höchste Dosis irgendwann nicht mehr. Was steckt denn nun hinter der „immer weiter, immer höher, immer schneller, immer mehr“-Erkrankung, die uns die Welt kosten kann?

Ältere unter Ihnen werden sich noch erinnern, dass es Medienzeiten gab, in denen weder vor, während noch nach Nachrichtensendungen Börsenkurse veröffentlicht wurden. Nun werden nicht alle von Ihnen (aber mehr als vor 30 Jahren) Aktien besitzen. Also beteiligt sein an Unternehmen. Und wenn, sind vermutlich noch viel weniger unter Ihnen, die einen für den Börsenkurs – oder Kurs des Unternehmens – relevanten Aktienanteil an einer ebenso relevanten Firma, sprich Globalplayer, besitzen. Trotzdem beobachten Sie natürlich mit Interesse das Auf und Ab der Börse. Und haben auch ein Interesse, dass es vor allem „rauf“ geht. Dieses Interesse entwickelt sich erst, wenn Sie ihr Geld in Aktien verwandeln. Kaufen Sie sich ein Auto oder ein Fahrrad oder ein Pfund Butter, erwarten Sie ein Auto, ein Fahrrad oder Butter zu bekommen. Aber keinesfalls erwarten Sie, dass ihr Geld „mehr wird“. Das setzt erst ein, wenn Sie Geld in Kapital verwandelt haben. Da möchten wir alle, dass es mehr wird – und sei es indirekt als Zinsen auf ein Sparbuch. Und sind empört, wenn sich das Geld da plötzlich nicht mehr vermehrt, weil wir meinen, die Bank würde doch mit unserem Geld investieren und Geld verdienen, es also in Kapital verwandelt haben. Und wir wollen einen Anteil davon abhaben – Zinsen eben.

Nun sind wir als Einzelne ziemlich uninteressant für das System des „Geld aus Geld machen“. Egal ob wir tausend oder 100 Millionen Euro in Aktien haben. Aber viele (sehr viele!) Billionen von Kapital wollen investiert werden zu dem einzigen Zweck MEHR zu werden. Auch Nachhaltigkeits-Fonds sollen Rendite erwirtschaften. Investitionen in Aufforstung oder ökologischen Olivenanbau übrigens auch. Es ist ein Ziel von Investments, dass am Ende mehr Kapital rauskommt, als man am Anfang reingesteckt hat.

Ja, ganz richtig: Auch bei uns, bei ForestFinance, gibt es die Vorstellung, mit eingesetztem Kapital könne ein Mehrwert entstehen. Doch es gibt zwei wesentliche Unterschiede: Zum einen besteht der Mehrwert bei unseren Investitionsangeboten darin, dass Natur geschaffen wird, Menschen in faire Arbeit kommen und am Ende ein Ernteertrag entsteht, der für den Investoren eine Art Zins darstellt. Das eingesetzte Kapital schafft direkt Wirkung. Sichtbar in Bäumen, Pflanzen, Tieren, Biodiversität.

Welcher Mehrwert führt in die Zukunft? foto: unsplash.

Grenzen des Wachstums

Der ganz wesentliche Unterschied jedoch ist, auf wessen Kosten dieser „Mehrwert“ entsteht. Wenn Unternehmen Menschen und Natur ausbeuten, um am Ende eine hohe Dividendenrendite zu erzeugen, zahlen alle anderen für diese Geldvermehrung weniger Investoren. Wenn Kinderarbeit zu höheren Deckungsbeiträgen führt, freuen sich die Kinder am wenigsten darüber. So ist nicht jedes Investment, das einen Mehrwert erzeugen möchte, gleich. Impact Investment, Naturinvestments oder Nachhaltige Investments haben den Anspruch weit mehr zu schaffen als pure Geldvermehrung. Trotzdem bewegen sich auch „nachhaltige“ Investmenst – auch die von ForestFinance – innerhalb des globalen ökonomischen Systems. Und „der Markt“ honoriert ökologische Anstrengungen und Wertschaffung nicht. Oder mindestens nicht hinreichend für kleinere oder mittelständische ökologisch-nachhaltig ausgerichtete Unternehmen, um gegenüber einer zunehmend rücksichtsloseren Kapitalmaschine und deren politischer Unterstützung zu bestehen. Auch in diesem (unserem!) Segment besteht der Druck „größer und effizienter“ zu werden, um im nicht-nachhaltigen Wirtschaftssystem überleben zu können. Und: Eine tägliche Entscheidung zwischen „das Richtige tun wollen“ und „das Richtige tun können“. Zumal alte aber mächtige und große Geschäftsmodelle wider besseres Wissen auch staatlich abgesichert werden – siehe Subventionspolitik gegenüber großen Konzernen (ja, ich weiß um die Arbeitsplätze … s.o.).

Trotzdem wird im Rahmen des Wettbewerbs die Vermehrung von Geld und Produktion weltweit immer effizienter vorangetrieben. Die „Grenzen des Wachstums“ liegen dabei nicht in der Vermehrung von Geld. Es ist kein Problem in der Buchhaltung oder virtuellen IT-Systemen an die Zahl 60 Millionen ein paar Nullen anzuhängen oder „Kurse“ steigen zu lassen. Aber man kann nicht aus 60 Millionen Pkw in Deutschland mal eben 6 Milliarden produzieren und auf die Straßen stellen. Auch wenn Kapital das versuchen würde, um sich zu vermehren. Die äußeren ökologischen Grenzen verhindern das. Diesem Punkt nähern wird uns rasend schnell global mit dem Klimawandel.

Beide „Ö“s zusammendenken: Ökologie und Ökonomie. Foto:Unsplash

Minimalistischer Optimismus

Auf der Suche nach Kapital-Vermehrungsmöglichkeiten kann man dann natürlich „neue Geschäftsideen“ entwickeln (was auch zunächst gut ist!), statt „Post-Wachstum“ auf Green-Wachstum setzen – zum Beispiel auf E-Mobilität. Löst erstmal nicht das Problem von 60 Millionen auf 6 Milliarden Pkw zu kommen, aber vielleicht erstmal von 2 Milliarden Verlust auf 5 Milliarden Gewinn und wieder steigende Aktienkurse. Erstmal uninteressant, wann Schluss ist mit einer Übermenge von E-Mobilität. Zumal, wenn es für das investierte Kapital noch staatliche Subventionen oder Risikoübernahme gibt – wie man gerade in großem Maßstab erlebt.

Sie verstehen das Prinzip: Green-Deal, E-Autos, Emissionshandel und alle möglichen „nachhaltigen“ Produkte sind notwendig und richtig, aber letztlich nicht die ökologische Lösung ohne eine Änderung des ökonomischen Systems. Sie schieben die Grenzen des ökologisch noch Erträglichen hinaus – was aber auch noch keineswegs sicher ist, wie man am Klimawandel sieht. Ob wir bei +2 Grad enden oder bei +4 oder +6? Minimalistischer Optimismus ist angeraten.

Nein, ich habe auch keine oder gar „die“ ökonomische Lösung. Ich bin nicht sicher, ob es einen Weg zwischen Marktradikalität oder Zwangsregulierung gibt. Letzteres würde durch große globale Krisen erzwungen – und sehr, sehr schlimm sein, für sehr, sehr viele Menschen. Vor allem für die Armen und Schwachen.

Derzeit stehen wir wie zerstrittene Ärzte am Krankenbett eines Notfallpatienten und sind in vielen Fällen nicht mal einig über die erforderliche Notfallmedizin – geschweige denn über eine Therapie zur Heilung der Erkrankung „aus Geld mach mehr Geld“. Ganz ohne Kapitalismus scheint mir jedoch auch keine Lösung. Kein anderes Wirtschaftssystem hat soviel Reichtum und soviel Freiheit geschaffen – bei gleichzeitiger Zerstörung der Grundlagen dieses Reichtums – nämlich der Erde.

Der IPPC Bericht setzt einen dramatischen Schlusspunkt über die Debatte ob es ökologisch so weitergehen kann. Die Debatte wie es ökonomisch weitergehen kann ist erst am Anfang. Ob wir uns von der derzeitigen „Ö“konomie weiter beherrschen lassen oder ein „Ö“ finden und vor allem durchsetzen, das verträglich mit der Ökologie unseres Planeten ist. Hoffen wir es. Ohne so ein „Ö“ wird uns was fehlen – im Zweifel die Erde.

betreut seit 2008 das Kundenmagazin ForestFinest und sämtliche Printprodukte als Redakteurin und Autorin. Sie schreibt am liebsten über nachhaltig Gutes, das sich für Mensch und Umwelt rechnet.

Ein Kommentar zu “Ohne Ö fehlt uns was

  1. Lieber Herr Assenmacher,

    Wer wissen will, der weiß.
    Vielen Dank für diesen herrlichen Satz
    Ich liebe Sätze, die multipel anzuwenden sind, und dabei sehr treffend sind.
    Ja die Ökonomie ist wichtig.
    Und auch die Werte. Auch dass es nicht das einzigste Lebensziel ist soviel wie möglich Geld zu erwerben.
    Ich glaube auch nicht, dass wir das tun, um reich zu sein, sondern wir tun es um Optionen zu haben und aus der Angst heraus es mal nicht mehr so gut zu haben.
    Um eine lange Nachricht kurz zu schreiben. Ich beschäftige mich gerade mit Gemeinwohl Ökonomie und die daraus resultierende Werteverschiebung.
    Vielleicht ist dies ein Weg beide Ös zu kombinieren.
    Einen schönen Sonntag Ihnen
    Mit freundlichem Gruß
    Silke Weber

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