1984: Auf der Suche nach einer Erfahrung jenseits der Oberflächlichkeit der modernen Zivilisation reist Bruno Manser in den Dschungel von Borneo und findet sie beim nomadischen Stamm der Penan. Die Begegnung verändert sein Leben für immer. Als die Penan von massiver Abholzung bedroht werden, nimmt Manser den Kampf gegen die Waldzerstörung mit einem Mut und einem Willen auf, die ihn zu einem der berühmtesten und glaubwürdigsten Umweltschützer seiner Zeit machen. Wir verlosen auf auf unserer Facebook-Seite 3 x 2 Kinokarten für den Film, der ab dem 22. Oktober 2020 in ausgewählten Kinos läuft!
In DIE STIMME DES REGENWALDES erzählt Drehbuchautor und Regisseur Niklaus Hilber die wahre Geschichte des Schweizer Umweltaktivisten Bruno Manser und seinem unermüdlichen Kampf für die Erhaltung des Lebensraums der Penan, den Ureinwohnern im malaysischen Regenwald. Über ein Jahr bereitete sich Schauspieler Sven Schelker auf die Rolle des Bruno Manser vor. Er lernte die Sprache der Penan und näherte sich in mehreren längeren Aufenthalten im Urwald von Borneo dem Leben und der Lebensweise des Nomadenvolkes an. Insgesamt dreizehn Wochen drehte Regisseur Niklaus Hilber zusammen mit seinem Team mitten im indonesischen Dschungel. Zum Cast gehören auch zahlreiche Penan, die zum Teil Bruno Manser noch persönlich erlebt haben, und auf diese Weise Gelegenheit erhielten ihre eigene Geschichte zu erzählen. In atemberaubenden Bildern von Kameramann Matthias Reisser und mit einem gefühlvollen Soundtrack von Oscarpreisträger Gabriel Yared präsentiert der Spielfilm die Schönheit und die Bedeutung des Regenwaldes und offenbart gleichzeitig die Schattenseiten der Globalisierung und des Kapitalismus und welchen Preis billiges Tropenholz tatsächlich hat.
INTERVIEW MIT NIKLAUS HILBERDREHBUCHAUTOR / REGIE
Das Interview führte Ruedi Suter, Journalist und Manser-Biograf.
Suter: Herr Hilber, wie sind Sie auf das Thema Bruno Manser gestossen?
Hilber: Produzent Valentin Greutert hatte die Rechte am Stoff erworben und mich angefragt, daraus einen Spielfilm zu machen. Bruno Manser war für mich damals nur am Rande ein Begriff, weil ich in der Zeit, in der er aktiv war, in den USA lebte. Nachdem ich seine Tage- bücher gelesen und mich intensiv mit dem Material befasst hatte, also im Archiv des Bruno Manser Fonds recherchiert hatte, wurde mir klar, wie komplex und vielschichtig der Stoff ist.
Suter: Das Drama von Bruno Manser überspannt einen sehr langen Zeitraum, Sie mussten es auf einen zweieinhalbstündigen Film kondensieren. Keine einfache Aufgabe!
Hilber: Und Mansers Leben war ja schon vor seinem Engagement für den Regenwald und die Penan sehr abenteuerlich …
Suter: Sie meinen seine Zeit als Senn auf der Alp oder als Höhlenforscher, als er mitunter einige der grossen Höhlen dieser Welt erkundete?
Hilber: Zuerst mussten wir uns damit auseinandersetzen, ob wir ein klassisches Biopic machen wollten. Wir haben gemerkt, dass vor allem die Fokussierung auf Mansers Kampf für den Regenwald und die Penan die Geschichte für eine breiteres Publikum interessant macht, auch für jene, die nicht wissen, wer Bruno Manser ist.
Suter: Ein Kampf, den er aber nie aktiv gesucht hat …
Hilber: Was noch dramatischer ist. Er war ein Aussteiger, der herausfinden wollte, wie sich ein Leben ganz in der Natur und ohne Geld und Besitz anfühlt, quasi am Ursprung des Menschseins. Und plötzlich stand er vor dem Dilemma, dass er der Einzige war, der den Penan überhaupt helfen konnte, ihre Existenz und Lebensweise als Nomaden zu retten. Er wurde gezwungen, zehn Jahre seines Lebens in einem Büroalltag in Basel zu fristen. Es gibt wohl keinen Lebensstil, der diesem Naturburschen ferner lag.
Suter: In diesem Kampf steckt auch eine große metaphorische Kraft.
Hilber: Es ist eine klassische David-gegen-Goliath-Situation. Aber auf einer höheren Ebene widerspiegelt es für mich den Kampf zweier Wirtschaftssysteme: Einerseits der Waldnomade, der als Jäger und Sammler ganz von der Natur lebt und nur besitzt, was er tragen kann, und andererseits der Kapitalismus, der auf Profitmaximierung basiert. Dadurch gehen die Penan uns alle etwas an. Sie sind die letzten Vertreter eines Lebens, das wir Menschen lebten, bevor unsere Vorfahren entschieden, sesshaft zu werden. Für mich überspannt Bruno Mansers Geschichte auf faszinierende Art und Weise die Geschichte der Menschheit, vom Naturwesen in ein Kulturwesen.
Suter: Der Film – eine Kritik am Kapitalismus?
Hilber: Eher eine Kritik an der Globalisierung, bei dem die reichsten Länder von den Ärmsten profitieren.
Suter: Und weshalb sieht man in diesem Film keinen dieser Profiteure?
Hilber: Das war mir sehr wichtig. Sobald man mit dem Finger auf jemanden zeigt, entlastet das den Zuschauer. Deshalb gibt es im Film nicht den einen klassischen Antagonisten, sondern viele kleine, die alle ein Rädchen im Regelwerk sind.
Suter: Zuschauer und Zuschauerin sollen also spüren, dass sie als Konsumierende mitverantwortlich und damit mitschuldig sind am Untergang der Penan.
Hilber: Diese Diffusion der Schuldigkeit ist ja gerade das Problem. Jeder ist ein bisschen, aber niemand richtig schuldig.
Suter: Der Film zeigt einige abenteuerliche Episoden aus Mansers Zeit im Dschungel, welche die meisten Leute wohl kaum kennen dürften, zum Beispiel dass er fast an einem Schlangenbiss gestorben wäre oder in Malaysia als Staatsfeind Nr. 1 galt …
Hilber: Auch, dass er von einem Journalisten verraten wurde und dass die Polizei auf ihn schoss, als er aus dem Polizeiwagen flüchtete.
Suter: Sie haben aber auch Ereignisse erfunden, die nie stattgefunden haben, etwa das Treffen zwischen Manser und Boutros Boutros-Ghali, dem UNO-Generalsekretär.
Hilber: Ja, aber er hat dessen Nachfolger Kofi Annan getroffen. Vom dramaturgischen Zeitablauf her mussten wir Mansers Treffen mit dem Generalsekretär vorverlegen, aber da war Kofi Annan noch nicht im Amt. Das sind die gängigen Probleme, mit denen man konfrontiert wird, wenn man 15 Jahre in zweieinhalb Stunden erzählt. Man wählt Ereignisse aus, passt sie an oder lässt sie ganz weg. Es geht darum, einen roten Faden zu kreieren, dem die Zuschauer folgen können, ein Verständnis zu vermitteln für die Zusammenhänge.
Suter: Auffällig ist, dass viel Gewicht auf die Liebesgeschichte mit einer Penanfrau gelegt wird, obwohl sich Manser zu diesem Thema zeitlebens in Schweigen gehüllt hat. Auf der anderen Seite kommt seine Liebesbeziehung in der Schweiz nicht vor.
Hilber: Es war mir wichtig zu zeigen, dass Manser sein persönliches Glück der größeren Aufgabe opfern musste. Hätte man der Schweizer Freundin diese Rolle gegeben, wäre die Liebesgeschichte viel zu spät im Film zu sehen gewesen. Zudem hat Manser immer wieder betont, wie sehr er die Penan im Herzen trägt. Die Liebesgeschichte mit Ubung soll das zum Ausdruck bringen.
Suter: Manser hatte gewissermassen einen romantischen Blick auf die Penan und ihren Lebensstil. Diesem sind Sie im Film gefolgt. Die Penan leben noch ganz traditionell, obwohl die zersetzenden Einflüsse der modernen Zivilisation schon damals spürbar waren.
Hilber: Der Film ist aus der Perspektive von Manser erzählt und so war es mir wichtig, auch mit seinem romantischen Blick auf die Penan zu beginnen und die Veränderungen durch die Sesshaftigkeit erst am Schluss zu zeigen. Ob Mansers Sicht auf die Penan idealisierend war, spielt letztlich aber keine Rolle, denn im Zentrum der Geschichte geht es darum, dass die Holzfirmen den Lebensraum der Penan zerstören – romantischer Blick hin oder her.
Suter: Wie sehen Sie denn Mansers Erfolgsbilanz? Was hat er erreicht?
Hilber: Auf den ersten Blick ist die Bilanz eher ernüchternd. Der Regenwald ist praktisch abgeholzt, und die Penan sind mittlerweile fast alle sesshaft geworden. Auf der anderen Seite trug Manser maßgeblich dazu bei, dass das Thema bedrohte Regenwälder auf die politische Agenda rückte. Und auch die Penan, denen er durch seinen Kampf sicherlich zu einem grösseren Bewusstsein über ihre Kultur verhalf, sind heute politisch aktiv. Mansers Tagebücher sind eines der wenigen Zeugnisse dieser Kultur.
Suter: Reden wir über die Dreharbeiten. Sie haben sich entschlossen, den Film mit realen Penan zu besetzen.
Hilber: Natürlich wäre es viel einfacher gewesen, mit professionellen Schauspielern zu arbeiten, etwa aus den Philippinen, wo es eine grosse Filmindustrie gibt. Es war ein Grundsatzentscheid. Uns war es wichtig, den Penan die Gelegenheit zu geben, ihre eigene Geschichte erzählen zu können. Ein paar unserer Darsteller haben übrigens Manser noch persönlich gekannt und waren mit ihm an den Blockaden beteiligt. Mit dieser Entscheidung ging aber auch einher, dass ich den Film in einer Sprache inszenieren musste, die außer den Penan niemand auf der Welt spricht. Das war eine riesige Herausforderung für mich, aber auch für Schauspieler Sven Schelker.
Suter: Zudem mussten Sie die Penan nach Indonesien bringen, wo Sie gedreht haben?
Hilber: Weil Manser in Malaysia immer noch ein rotes Tuch ist, hätten wir dort nie eine Drehgenehmigung erhalten.
Suter: Wie haben Sie ihre Darsteller gefunden?
Hilber: Ich bin monatelang durch den Urwald getrekkt, mit dem Boot die Flüsse hoch, und musste in jedem Dorf zuerst die Dorfältesten vom Projekt überzeugen, bevor ich ein Casting durchführen durfte. Bis fast am Schluss hatte ich keine Gewissheit, ob sie überhaupt bereit wären, für drei Monate mit uns nach Indonesien mitzukommen. Dann brauchten alle Pässe und Arbeitsvisa. Und was ist, wenn sie dann nach einer Woche Drehzeit genug hatten, ihre Familien vermissten oder aus sonst irgendwelchen Gründen wieder nach Hause wollten? Das war ein großes Risiko. Beim Drehen merkte ich dann aber, wie sehr sie mit Herz und Blut dabei waren, weil es ja ihre Geschichte ist.
Suter: Wie haben Sie Sven Schelker auf die Rolle von Bruno Manser vorbereitet?
Hilber: Wir haben während drei Wochen mit einer Penan-Sippe im Urwald gelebt, also unter freiem Himmel übernachtet, gejagt und gefischt. Es war körperlich unglaublich anstrengend, das hat mich und Sven zusammengeschweißt. Ich kannte es schon aus meinen Recherchereisen, aber für Sven war es ein Kulturschock. In dieser Zeit hatten wir intensive Gespräche über die Rolle geführt und Sven hatte die Möglichkeit, erste Dialoge mit den Penan zu proben und ein Gefühl für die Sprache zu bekommen.
Suter: Es ranken sich viele abenteuerliche Geschichten um Filme, die im tropischen Urwald gedreht wurden, wie etwa Werner Herzogs Fitzcarraldo oder Francis Ford Coppolas Apocalypse Now. Wie war es für Sie, im Dschungel zu drehen?
Hilber: Abgesehen von all den Mückenstichen und Blutegeln und der unglaublichen Feuchtigkeit war es sicherlich ungünstig, dass wir in der Regenzeit drehen mussten. Denn während der Trockenzeit finden überall Brandrodungen statt, so dass der ganze Himmel mit starkem Rauch verhangen ist. Nach jedem Regensturz versanken die Autos im Schlamm oder kamen nicht mehr den Berg hoch. Das war am Anfang ein großes Problem, weil die Statisten dann immer erst gegen Mittag am Set eintrafen. So waren wir nach kurzer Zeit schon gewaltig im Rückstand.
Suter: Mit Problemen, die ja teils vorauszusehen waren …
Hilber: Problematisch wurde es auch, als der indonesische Geheimdienst, der uns Tag und Nacht beschattete, einen meiner Penan-Schauspieler mitten im Dreh heimschickte. Oder als nach einem Sturm das Hochwasser eines unserer Sets wegspülte. Richtig gefährlich wurde es zum Glück nur einmal, als ein großer, morscher Baum auf die Penan-Hütten stürzte und mehrere Crewmitglieder beinahe unter sich begrub.
Suter: Das Team bestand aus über 100 Leuten. Wie bringt man so viele Menschen mitten im Urwald unter?
Hilber: Wir haben ein Camp gebaut, mit Zelten, Duschen, einer Feldküche. Da waren wir während vier der insgesamt 13 Wochen des indonesischen Urwald-Drehs. Einmal hatten wir für drei Tage kein Wasser. Bei 80 Leuten und sechs Toiletten wird das schnell unangenehm. Auf der anderen Seite standen wir täglich über Stunden im Wasser, bis sich die Haut an den Fusssolen auflöste und entzündete. Trotz dieser und anderen Unannehmlichkeiten hat die Crew aber eine grossartige Leistung vollbracht.
Suter: Sie waren bereits in Sarawak und haben den Film in verschiedenen Penandörfern vorgeführt. Wie fielen die Reaktionen aus?
Hilber: Es war uns wichtig, den Penan Communities den Film persönlich zu zeigen, da sie ja keine Möglichkeit haben, den Film im Kino zu sehen. In Long Gitta, wo sich Manser vermehrt aufgehalten hat, war es wie eine Reaktivierung der Vergangenheit. Die Leute waren sehr angetan, besonders die Frau von Along Sega, die mir nach der Filmvorführung sagte, sie hätte am liebsten «den Schatten des Filmes eingefangen und behalten». Besonders gefreut hat mich auch die emotionale Betroffenheit und das Lob einer Mitarbeiterin des Sarawak Forestry Departments, die unbemerkt an der Vorführung in Long Lamam teilgenommen hat. Und In Long Iman, wo die Penan zur Zeit wieder eine Blockade aufrecht erhalten, mussten wir den Film im Geheimen zeigen. Der Film hat viele ermutigt. Man spürt einfach, wie Bruno Manser auch nach 30 Jahren immer noch im kollektiven Gedächtnis der Penan verhaftet ist.
Suter: Wenn Bruno Manser noch am Leben wäre und den Film sehen könnte, wie würde er ihn wohl beurteilen?
Hilber: Manser war zeitlebens ein sehr kritischer Geist. Warners Brothers wollten sein Leben ja bereits in den 90er Jahren verfilmen, doch Manser wies das Drehbuch zurück. Ich wünschte mir natürlich, dass Bruno Manser der Film gefallen hätte. Seine Geschwister jedenfalls hat der Film sehr berührt. Sie waren überwältigt, wie authentisch Sven Schelker ihren Bruder dargestellt hat.