Wir alle wissen, was die Stunde geschlagen hat. Die Welt taumelt in die Klimakrise – obwohl wir längst wissen, was wir tun können und müssen, um sie zu stabilisieren. Mit einer ökologischen Forst- und Landwirtschaft zum Beispiel ließe sich vieles richten. Dafür braucht es den Mut, bestehende Gesetze nicht nur zu reformieren, sondern auch, sie zu revolutionieren.
Inhalt
Kapitel 1: Die Leistungen des Waldes schätzen lernen
Kapitel 2: Von Baumprämien und komplizierten Rechnungen
Kapitel 4: Mehr Böden und Tatsachen für den Klimaschutz
Kapitel 5: Reförmchen statt Reformen oder gar Revolutionen
Das Wirtschaftswachstum ist seit Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert explodiert. Firmen, Industrien, Produktpaletten wachsen seither ungestüm, obwohl die Rohstoffquellen längst versiegen. Auch die Menschheit wächst dank der industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung rasant. Und mit ihr exponentiell der Treibhausgas-Ausstoß. Am stärksten wird diese fatale Entwicklung von den Menschen beschleunigt, die so gut wie alles haben, was sie zum Leben brauchen – und oft noch viel mehr.
Wie also vorgehen? Wo und wie fangen wir es an, die Welt und damit die Menschheit zu retten?
Konsum und Wachstum stoppen? Oder gerecht verteilen? Immer mehr Menschen erkennen, dass das nur zusammen mit der Natur geht. Immer mehr von ihnen gehen auf die Straße und kämpfen für deren Schutz. Letztendlich unser aller Schutz und Überleben.
Bild/Collage: Petra Nyenhuis in ForestFinest 2021
Die Leistungen des Waldes schätzen lernen
Mit „schätzen lernen“ ist durchaus der monetäre Aspekt gemeint! Was seit vielen Jahren immer wieder mit „Ökosystemleistungen anerkennen“ gemeint ist – und wir in unserem Kundenmagazin seit ebenso langer Zeit immer wieder besprochen haben – wird drängender denn je. Denn Wälder erbringen Leistungen, die für die Menschheit von unschätzbarem Wert sind: Sie sorgen für frische Luft, Klimaschutz, schützen den Boden vor Erosion, filtern und speichern Wasser, halten es davon ab, Siedlungen zu fluten, versorgen uns mit Naherholungsgebieten und einem der wichtigsten nachwachsenden Rohstoffe – mit Holz und Biomasse.
Der Wald leistet ganz schön viel: Ob Naherholung, Bodenverbesserung, Klimaschutz oder als Holzlieferant.
Die meisten dieser Leistungen werden als kostenloser Service, pro bono sozusagen, einfach hingenommen. Immer mehr Waldbesitzer fordern nun ein Umdenken. Ulrich Ivo von Trotha zum Beispiel. Er ist Betriebswirt, Unternehmensberater, Bänker, Headhunter und seit einigen Jahren Waldbesitzer und Präsident des Landesverbandes der Waldbesitzer in Mecklenburg-Vorpommern. Er hat das Akronym „HÖSL“ ins Leben gerufen und was ein wenig nach Untenrum klingt, ist eigentlich ein starkes Zeichen nach Außen. Mit der Honorierung von ÖkoSystemLeistungen (= HÖSL) will von Trotha genau das erreichen, was der Name verspricht, und erklärt den Redakteuren der Zeitschrift brand eins:
„80 Prozent des Nutzens stellen wir der Öffentlichkeit bisher kostenlos zur Verfügung.“
Ivo von Trotha
Er fordert, dass eben diese Öffentlichkeit die Leistungen des Waldes mit öffentlichen Geldern begleicht. Konkret soll – so von Trothas Berechnungen – mit dem Geld bezahlt werden, dass ein Hektar deutscher Wald durchschnittlich mehr als acht Tonnen Kohlendioxid pro Jahr der Atmosphäre entzieht. Wenn man indirekte Effekte in diese Berechnung einbeziehe, seien es sogar mehr als elf Tonnen, denn Holz ersetze Stahl, Beton, Kunststoff und Öl, die allesamt bei ihrer Produktion Unmengen an klimaschädlichen Emissionen verursachen. Auch die Wasserfilterfunktion des Waldes sei enorm: Ein Hektar Wald reinige jährlich 3.000 Kubikmeter Wasser. Die öffentliche Wasserwirtschaft profitiere davon und solle dafür zahlen.
Diese und ähnliche Forderungen der Waldbesitzenden stößt auch bei Umweltschutzverbänden auf Verständnis. Sie wollen aber, wenn schon Steuergelder an die Privatunternehmen gezahlt werden, dass diese an Forderungen geknüpft werden: „Wir sind dafür, Waldbesitzer:innen zu unterstützen, die ihre Wälder besonders ökologisch verträglich im Sinne des Gemeinwohls bewirtschaften“, sagt Nicola Uhde, Waldexpertin der Umweltorganisation BUND der taz. Weil aber öffentliches Geld für öffentliche Leistungen ausgegeben werde, sei es wichtig, ökologische Mindeststandards im Bundeswaldgesetz zu verankern, die es da bislang noch nicht gäbe.
Außerdem müssten bei den Ökosystemleistungen neben dem Klimaschutz auch die Biodiversität im Blick behalten werden: „Der Erhalt und die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt heimischer Wälder bedarf eigener Kriterien bei der Entwicklung eines Honorierungsmodells“, erklärt die Waldexpertin des BUND. Der fordert – wie auch Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen –, dass Waldbesitzer ihr Land nicht mehr so intensiv bewirtschaften. Staatliche Gelder sollten keine Zahlungen an die Waldindustrie sein, sondern Anreize für eine naturnahe Waldnutzung.
+++ZWISCHENMELDUNG+++ Grünes Wunder: Das Ende des Waldsterbens
Das Ende des Waldsterbens in Deutschland: Wir haben es schon einmal geschafft und den Wald gerettet. Das Waldsterben der 1980er Jahre konnte gestoppt werden, weil die Politik – zwar in gewohnt träger Manier und erst nach vielen Demonstrationen und ordentlich Druck von der Straße – reagierte: Kohlekraftwerke mussten Filter einbauen, um Rauchgase zu entschwefeln, Pkw mussten Abgasnormen einhalten und mit Katalysatoren ausgestattet werden, zahllose Klagegesänge von Industriellen ertragen werden, dass all diese Vorschriften die deutsche Wirtschaft ruinieren würden. Taten sie nicht. Sie retteten die Wälder. Eine Zeitlang.
Jetzt stehen wir vor dem zweiten großen Waldsterben aufgrund des Klimawandels. Die Wälder sind so schwach wie nie zuvor und Schädlinge und Stürme haben ein leichtes Spiel, ihnen den Todesstoß zu verpassen. Zwar spendiert die deutsche Regierung 1,5 Milliarden Euro zur Wiederaufforstung, aber diese müssen die WaldbesitzerInnen nach eigenem Wissen und Gewissen richtig einsetzen, um einen gesunden, naturnahen Wald aufzuforsten, der als robustes Ökosystem den Widrigkeiten trotzen kann. Wie es geht, wissen zum Glück immer mehr und wir alle wollen hoffen, dass sie dieses Wissen auch einsetzen.
Um dem Waldsterben weiter entgegenzuwirken, ist es aber nicht nur wichtig, entsprechend Wiederaufzuforsten, sondern auch, bestehende Wälder zu schützen. Wie das geht, erfahren Sie zum Beispiel anhand des Projektes WildeBuche, das urwaldnahen Wald in der Eifel unter Schutz stellt:
Von Baumprämien und komplizierten Rechnungen
Wie Waldbesitzer:innen für Ökosystemleistungen bezahlt werden sollen, ist weder „HÖSL“ noch anderen Organisationen klar, die ähnliche Forderungen stellen. Immerhin arbeiten zurzeit etliche Institutionen auf vielen Ebenen daran. Acht Generaldirektionen sind es allein in der EU. Das macht es offensichtlich nicht leichter, schnell zu einem Konsens zu kommen, wie Wald-Leistungen so berechnet werden können, dass man Wälder in Wert setzen und damit schützen, beziehungsweise ihre Besitzer:innen für sämtliche Leistungen bezahlen und fördern kann. Auch dafür, dass sie aktuell ihre Forste umbauen müssen, damit sie den Klimawandel überstehen.
Weil es so schwierig ist, konzentriert sich die Arbeitsgemeinschaft Deutsche Waldbesitzerverbände (AGDW) auf eine „Vergütung der Ökosystemdienstleistung CO2-Speicher“ durch eine „Inwertsetzung der Waldklimafunktion“. Die Arbeitsgemeinschaft rechnet mit anderen Zahlen als von Trotha und kommt zum Schluss: ein Hektar Wald speichere jährlich im Schnitt fünf Tonnen CO2 . Da die Tonne CO2 im Europäischen Emissionshandel etwa 25 Euro wert sei, sollten Waldbesitzer mit 125 Euro pro Hektar Wald im Jahr bezahlt werden. Das Geld dafür soll laut AGDW aus dem „Energie- und Klimafonds“ der Regierung kommen. In diesen fließen die Erlöse des Emissionshandels und was gäbe es Passenderes, als mit dem Geld, das die Industrie für den CO2 -Ausstoß bezahlt, eine Baumprämie ins Leben zu rufen und damit CO2 -Senken zu finanzieren?
Kommt es zu so einer „Baumprämie“, wäre dies das erste Mal in der Geschichte Deutschlands, dass eine Dienstleistung des Waldes bezahlt wird. Allerdings gibt es dazu kritische Stimmen und offene Fragen. Denn: Was passiert, wenn das Holz dem Wald entnommen und verbrannt wird und das CO2 freisetzt, für dessen Aufnahme laut AGDW die Baumprämie bezahlt wurde? Müssen die Baumbesitzer:innen dann die Prämie zurückzahlen? Zudem monieren Umweltschützer:innen, dass der Fokus der Ökosystemleistungen nicht nur auf CO2 liegen dürfe.
Denn was, wenn eine Baumprämie dann eine Waldindustrie fördert, die zwar CO2 bindet, dafür aber Umwelt zerstört – zum Beispiel mit riesigen Monokulturen schnellwachsender Baumklone, die mit Herbiziden und Pestiziden herangezüchtet werden und Böden und Luft verpesten?
Eine ganz andere Art der „Baumprämie“ finden Sie bei ForestFinance, zum Beispiel mit unserem GeschenkBaum. Wenn Sie mehr erfahren wollen – hier entlang:
Mehr Böden und Tatsachen für den Klimaschutz
Forst- wie Landwirtschaft entscheiden über den Zustand der Böden. Je natürlicher sie betrieben werden, desto mehr Kohlenstoff kann das Erdreich speichern. Je mehr Biomasse ein Boden aufnehmen kann, die von Würmern und Larven zu Humus umgewandelt wird, desto mehr kohlenstoffhaltige Nährstoffe werden angereichert, desto höher wird die Wasserspeicherfähigkeit und Fruchtbarkeit des Erdreichs.
Die Landwirtschaft könnte mit den richtigen, ökologischen Anbaumethoden nicht nur mehr produzieren, weil sie auf fruchtbarem Boden betrieben würde, sie würde ebendiesen zu einem gigantischen Kohlenstoffspeicher machen. Davon sind Forscher:innen des auf Bio-Landwirtschaft spezialisierten Rodale Institutes aus den USA überzeugt. Ihre These: Die globale Bauernschaft ist technisch in der Lage, so große Mengen an CO2 zu absorbieren, dass sie uns die gesamten Klimasorgen nehmen könnte.
Alles, was Bauern tun müssten, wäre auf Pflüge zu verzichten, die den Boden so tief aufreißen, dass sie ihm den gebundenen Kohlenstoff wieder entreißen. Sie müssten Zwischenfrüchte nach der Haupternte anbauen, Fruchtfolgen statt Monokulturen kultivieren, Biomasse in den Boden bekommen und da halten. Schlichtweg: Sie müssten einfach Bio-Landwirtschaft betreiben.
Das klingt traumhaft einfach und wäre in der Wirkung gewaltig. Allerdings ist der Prozess der Humusbildung empfindlich und zeitintensiv. Je nach Bodenstruktur und Qualität, Region, Wetter und Klima dauert er unterschiedlich lang. Land zum fruchtbaren Kohlenstoffspeicher umzubauen, braucht Geduld und eine Agrarpolitik, die nicht auf kurzfristige Lösungen und Interessen industrialisierter Landwirtschaft setzt.
+++ZWISCHENMELDUNG+++ Grünes Wunder: Kühe, die aufs Klo gehen
Kühe gehen aufs Klo und schützen damit die Umwelt: Rinder für Milch- und Fleischproduktion zu halten, ist eine enorme Umweltbelastung. Die Methanmengen, die Kühe ausscheiden, sind nicht nur von der Menge her gewaltig, sie sind bis zu 30 Mal „wirkungsvoller“ als CO2 . Allein die Rinderhaltung ist für circa ein Drittel der globalen klimaschädlichen Emissionen verantwortlich. Hinzu kommt der Urin: Er setzt das hochproblematische Treibhausgas Distickstoffmonoxid, besser bekannt als Lachgas, frei und enthält Nitrat, das Böden und Gewässer belastet.
Eine Lösung dieses Problems klingt schräg, ist es aber bei genauer Betrachtung überhaupt nicht: ForscherInnen aus Neuseeland und Deutschland haben Kühen beigebracht, aufs Klo zu gehen. Sie belohnten Kälber, wenn sie das Klo benutzten mit Futter und ließen Halsbänder vibrieren, wenn sie an der falschen Stelle urinierten. Nach 15 Tagen benutzten drei Viertel der Tiere die Toilette. „Die Reaktion der Leute ist natürlich ‚verrückte Wissenschafter'“, erzählt eine der WissenschaftlerInnen und erklärt, warum das alles andere als verrückt ist: „Wenn wir zehn oder 20 Prozent der Urinausscheidungen auffangen, könnten wir den Ausstoß von Treibhausgasen und die Nitratauswaschung erheblich reduzieren.“
Reförmchen statt Reformen oder gar Revolutionen
Im Sommer 2021 gab es ein Reformpaket zur EU-Agrarpolitik: Landwirte, die sich an Umweltprogrammen beteiligen, sollen nach einer zweijährigen Übergangsfrist mehr Geld bekommen. Leider wird dieses Paket zum Päckchen, denn die Umweltauflagen sind schwach und Regelungen diesbezüglich noch nicht einmal ausgearbeitet. Die Reform ist ein Reförmchen mit richtigen Ansätzen, für die es aber sehr viel mehr braucht. Eine Biodiversitätsstrategie zum Beispiel. Es ist unglaublich aber wahr: Die EU hat in einem ihrer wichtigsten und teuersten Felder, der Agrarpolitik, keine.
Sie zu entwickeln und zu implementieren wäre – bei dieser erschreckend schrecklichen politischen Behäbigkeit – revolutionär! Oder eine Gemeinwohlprämie einzuführen und Subventionen nicht an der Fläche landwirtschaftlicher Betriebe zu berechnen, sondern diese an ihren umwelt- und tierfreundlichen Maßnahmen auszurichten. Dafür plädiert nicht nur Grünen-Chef Robert Habeck, sondern auch der Deutsche Verband für Landschaftspflege.
Es wird Zeit, dass ihre – wie all die anderen Stimmen – und das Wissen,
das sie verkünden, endlich erhört werden.
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betreut seit 2008 das Kundenmagazin ForestFinest und sämtliche Printprodukte als Redakteurin und Autorin. Sie schreibt am liebsten über nachhaltig Gutes, das sich für Mensch und Umwelt rechnet.