Der Natur Kredit geben – Mit „Biodiversity Credits“ Leben retten

Ein Interview mit Jan Fockele,
aktives Mitglied der Biodiversity in Good Company Initiative
und Geschäftsführer von ForestFinance

„Milliarden Euro für Elefant und Erdmännchen. Bedrohte Arten könnten bald mit Zertifikaten geschützt werden, ähnlich wie das Klima“, schreibt „Die Zeit“ im März 2024. Ist das realistisch oder zweckoptimistisch?

Nein, ich halte das für durchaus realistisch. Wenn es uns gelingt ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass nicht nur Klima-, sondern auch Biodiversitätsschutz eine Rolle spielt und einen Wert bekommen muss, dann sind solche Größenordnung sehr wohl möglich. Was man sicher unterscheiden muss, ist, dass es zurzeit auf verschiedenen Ebenen Bemühungen gibt, Biodiversität in Wert zu setzen.

Da gibt es die zurzeit auf Plakatwänden dargestellte Form von Matto Barfuss und seinen Erdmännchen, die vor allem darauf abzielt, Bewusstsein in der Bevölkerung zu schaffen. Auf diese Art und Weise möchte Barfuss Kapital mobilisieren, um Korridore in der Natur zwischen Naturschutzgebieten und Reservaten zu schaffen, mit denen Artenvielfalt und Biodiversitätsschutz sichergestellt werden sollen.

Darüber hinaus gibt es seit Längerem Bemühungen in der Wirtschaft, die Thematik „Biodiversität“ in Wert zu setzen, damit die Unternehmen, die sie schützen und die auch Sorge dafür tragen, dass Biodiversität erhalten wird, besser aufgestellt sind und mehr Unterstützung erfahren als die Unternehmen, die rigoros die Biodiversität bedrohen, weil sie dem Geschäftsmodell Vorrang geben, das den Ertrag und Gewinne vor den Schutz der Natur und der Biodiversität stellt. Das sind zwei unterschiedliche Konzepte, die das gleiche Ziel verfolgen, nämlich der Biodiversität Raum zu geben.

Gibt es bereits Kriterien und Standards für Biodiversity Credits im ökonomischen Kontext? Wer entwickelt diese und wer steht dahinter?

Das ist genau das Problem, mit dem wir uns zurzeit auseinandersetzen müssen. Es gibt meines Wissens nach noch keine konkreten Kriterien und aktuell sehr viele Spieler auf dem internationalen Markt, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Wir selbst sind Gründungsmitglied im Verein „Biodiversity in Good Company“ und beschäftigen uns in einer Arbeitsgruppe für politische Vernetzung mit exakt dieser Thematik.

Natürlich gibt es Systeme am Markt mit Klimaschutzzertifikaten, die wir auch für die Biodiversität-Zertifikate adaptieren können. Leider sind diese Systeme anfällig und nicht in allen Bereichen ideal. Nun gilt es, diverse Tendenzen, Strömungen, Ideen und Konzepte zusammenzubringen, die dazu beitragen, dass ein gemeinschaftliches System entsteht, mit dem baldmöglichst effizient Biodiversität geschützt und gefördert wird.

Wie können „Biodiversity Credits“ funktionieren?

Aus meiner Sicht sollten Aktivitäten von Unternehmen, die nachweislich dazu führen, dass entweder bestehende Biodiversität geschützt oder neue Biodiversität geschaffen wird, gefördert werden. Das heißt, wann immer nachweislich zum Schutze der Biodiversität gehandelt wird, sollte für diese Aktivität ein Vorteil entstehen.

Es ist ja geradezu ein Irrsinn, sich anzuschauen, dass momentan die Wirtschaftsteilnehmer profitieren, die rücksichtslos mit der Natur und der Biodiversität umgehen. Sie sparen Produktionskosten, weil sie keine Rücksicht nehmen, und können ihre Produkte somit zu günstigeren Konditionen anbieten. Selbst, wenn sie es zu gleichen Konditionen mit anderen Unternehmen tun, profitieren sie von einer höheren Marge, die zulasten der Natur geht.

Es müssten diejenigen, die sich Gedanken machen, Konzepte entwickeln, Geld und Zeit investieren und Ressourcen zur Verfügung stellen, um die Natur zu schützen, einen Vorteil bekommen.

Das könnte dadurch geschehen, dass wenn ein Zertifizierungsunternehmen den Bestand oder den Schutz von Biodiversität nachgewiesen hat, in einer bestimmten Menge Zertifikate ausstellt, die am Markt gehandelt werden können. Der Preis kann sich vergleichbar mit den Klimaschutzzertifikaten am Markt bilden. Im Ideal geht es darum, dass alle Aktivitäten zum Klima- und Artenschutz finanziert werden können – durch den Verkauf solcher Zertifikate.

Wer würde die Biodiversitäts-Zertifikate kaufen, zu welchem Preis und warum?

Nun, der Preis bildet sich am Markt. Die Frage, wer solche Zertifikate kaufen würde, beantwortet sich aus der Beobachtung der tatsächlich stattfindenden Wirtschaft. Wann immer es um Produktion, Nutzung von Rohstoffen Verwendung von natürlichen Ressourcen geht, besteht auch immer die Gefahr, dass das unter Beeinflussung der Natur geschieht. Vergegenwärtigen wir uns beispielsweise den Abbau von Rohstoffen für die Bauindustrie: Unternehmen, die Gips oder Kies abbauen, greifen stark in die Natur ein. Sie können es verantwortungsvoll tun, indem sie eine Strategie entwickeln, um Umwelt zu schützen und beispielsweise die Flächen nach dem Aushub renaturieren. Natürlich ist auch nicht ausgeschlossen, dass im Zuge der Bodenbearbeitung Biodiversität zumindest temporär unter Druck gerät. Für solche wirtschaftlichen notwendigen Tätigkeiten mit negativen Effekten könnte es möglich sein, zum Ausgleich Biodiversitäts-Zertifikate zu erwerben. Wenn dann nach dem Aushub eine den Artenschutz fördernde Maßnahme folgt, kann das gleiche Unternehmen Zertifikate aus dieser Tätigkeit generieren.

Wer kontrolliert, wohin das Geld aus den Zertifikat-Verkäufen fließt?

Schwierige Frage, denn wir haben es hier nicht mit einem regionalen oder nationalen Markt zu tun, sondern sprechen von komplexen, internationalen Märkten und somit auch einer internationalen Regulierung. Den Geldstrom transparent zu halten und zu kontrollieren, wie sich Gelder verteilen, wird sicherlich eine der Aufgaben sein, die man auf internationaler und auf EU-Ebene im Auge behalten muss.

„Die Zeit“ sieht schon einen neuen „Milliardenmarkt“ entstehen, ähnlich dem Emissionsrechtehandel mit CO2-Zertifikaten. Wie sehen Sie das?

 Ja, das wäre schön. In der Tat hätte ich gar nichts dagegen, wenn ein solcher Milliarden-Markt entstünde. Solange sichergestellt ist, dass tatsächlich Biodiversität schützende Maßnahmen gefördert werden und im Umkehrschluss, Unternehmen und Wirtschaftsweisen, die biodiversitätsschädigend sind, Restriktionen unterliegen. Dafür kann der Markt eigentlich gar nicht groß genug werden. Wenn es dann noch gelingt, die Fehler, die im CO2-Zertifikatemarkt gemacht worden sind, nicht zu wiederholen und die Erkenntnisse im positiven Sinne sofort auf den Biodiversitätssektor anzuwenden, dann könnten wir möglicherweise sogar eine große Erfolgsgeschichte in kurzer Zeit sehen.

Wie könnten Unternehmen in Deutschland von so einem Markt profitieren?

Unternehmen, die Lebensmittel auf biodiversitätsschützende Weise herstellen, könnten durch den Verkauf von Zertifikaten zusätzliche Erträge generieren. Das würde die umweltfreundliche Lebensmittelproduktion steigern und ggf. zu günstigeren Preisen führen. Momentan zahlt man für Bioprodukte im Supermarkt mehr als für konventionelle Ware, die auf Kosten der Natur produziert werden. Biodiversitäts-Zertifikate würden Hersteller:innen ermöglichen, biologische und biodiversitätsschützende Produkte günstiger anzubieten, wovon schlussendlich auch Verbraucher:innen profitieren würden.

Könnte ein Unternehmen wie ForestFinance vom Biodiversity-Credits-Markt profitieren und einen neuen Dienstleistungssektor rund um CO2- und Biodiversity-Credits aufbauen?

 Ja, in der Tat halte ich ForestFinance für einen idealen Marktbegleiter, der mit der Schaffung solcher Zertifikate Profite erwirtschaften kann. Wir können als Dienstleister von Unternehmen beauftragt werden, Firmenwäldern aufzuforsten, um CO2- und Biodiversitätszertifikate zu generieren.

Wir können aber auch für uns selbst Zertifikate für die Flächen generieren, die wir seit vielen Jahren nachhaltig bewirtschaften. Unser Konzept, degenerierte Weideflächen mit Mischwäldern zu bepflanzen, ist ideal geeignet, um Raum für Biodiversität zu schaffen. Unser Geschäftsmodell ist weit weg davon, Natur zu schädigen. Im Gegenteil: Alles was wir tun, ist die Schaffung von Biodiversität. Insofern wäre eine Vergütung dieser Leistung durch Zertifikate, ein attraktiver Aspekt für unser Geschäftsmodell – von dem schlussendlich auch unsere Investierenden in Wald und Agroforst profitieren würden.

Im Klartext bedeutet das: Wir können mit unserer langjährigen Aufforstungsexpertise dafür sorgen, dass

  • … Biodiversität in den Tropen entsteht,
  • indem wir artenreiche Wald- und Agroforstsysteme aufforsten und pflegen,
  • welche einen unmittelbaren Klima- und Biodiversitäts-Effekt haben,
  • und mit diesen Firmenwäldern eher früher als später geldwerte Zertifikate generieren und Gewinne ermöglich.

Wo werden diese Wälder entstehen? ForestFinance agiert in den Tropen und muss sich der Frage stellen, ob es nicht „neo-kolonialistisch“ handelt. Wie können solche Projekte sozial verträglich durchgeführt werden?

Das ist eine Frage, die unser Handeln von Beginn an begleitet. Wir müssen immer sicherstellen, dass dort, wo wir degradierte Weideflächen zu Wäldern umwandeln, wir nicht in Konkurrenz stehen zu der lokalen Bevölkerung oder zu der Produktion von Lebensmitteln in der Region. Es wäre vollkommen verkehrt, wenn der Anspruch von westlichen Industrieländern, in den Tropen Biodiversität zu schaffen, zu Lasten der Bevölkerung oder deren Lebensmittelversorgung ginge. Keine Frage.

Es hat sich in den vergangenen Jahren in all unseren Projekten gezeigt, dass die vorhandenen Prüfungen und Kontrollen aus bekannten Standards solche Bedingungen bei der Bewertung von Aktivitäten berücksichtigen. Als Beispiel sei hier nur FSC, Gold Standard oder auch UTZ genannt, deren Audits wir immer bestanden haben. Alle diese Standards überprüfen die Umsetzung von Maßnahmen und die Durchführung der Projekte auch nach den Kriterien, ob sie sozialverträglich sind, dass kein Landraub stattgefunden hat etc. Insofern wäre die Verwertung von biodiversitätsschützenden Maßnahmen im Rahmen der ohnehin vorhandenen Prüfschemen sicherlich einfach integrierbar.

Wir freuen uns über die Aufmerksamkeit, die das Thema derzeit erfährt, und beteiligen uns an der Gestaltung neuer Definitionen und Standards, in der Hoffnung, dass sich Biodiversity Credits bald zu den CO2 Credits gesellen und dazu beitragen, die Auswirkungen der menschgemachten Krisen zu mildern.

betreut seit 2008 das Kundenmagazin ForestFinest und sämtliche Printprodukte als Redakteurin und Autorin. Sie schreibt am liebsten über nachhaltig Gutes, das sich für Mensch und Umwelt rechnet.

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