Grüne Stadtkonzepte: Hängende Gärten und vertikale Wälder

In den Häuserschluchten der Städte stauen sich Hitze und Smog, unter denen die Bewohner ebenso leiden wie unter dem Anblick trister Fassaden und grauer Gehwege. Längst ist Stadtplanern klar, dass Bäume und Parks eine Stadt erst lebenswert machen, aber wohin damit, wenn kein Platz dafür da ist? An die Wände und auf die Dächer der Häuser!

ünstlerische Interpretation der Hängenden Gärten der Semiramis (vermutlich 19. Jahrhundert)
Künstlerische Interpretation der Hängenden Gärten der Semiramis (vermutlich 19. Jahrhundert)

Sie sind berühmt-berüchtigt und doch weiß keiner so genau, ob es sie überhaupt gab: die Hängenden Gärten der Semiramis in Babylon, das wohl rätselhafteste der sieben Weltwunder des Altertums. Mit eigenen Augen gesehen hat sie keiner; historische Quellen beziehen sich nur auf Berichte aus zweiter Hand. Als ziemlich sicher gelten allerdings zwei Punkte: Zum einen, dass die Bezeichnung „Hängende Gärten“ auf einem Übersetzungsfehler beruht und es eigentlich etwas unspektakulärer „Dachgarten“ hätte heißen müssen und zum anderen, dass der Garten nicht etwa der Königin Semiramis von Babylon gehörte, sondern Nebukadnezar II., der seiner Gemahlin, der Perserin Amyitis, ein Stück ihrer grünen Heimat in das trockene Babylon holen wollte. So oder so: Der Berühmtheit der Gärten tut das keinen Abbruch – und das seit vielen tausend Jahren. Auch heute sehnen wir uns im tristen Grau der Städte nach etwas Grün und das nicht ohne Grund: So zeigte eine Studie von Forschern der University of Essex bereits 2010, dass Grünzonen in Städten von enormer Bedeutung für die Gesundheit sind und deshalb unbedingt von Städteplanern berücksichtigt werden sollten. Der Platzmangel zwischen Hochhäusern und Asphaltwüsten bringt Architekten und Gartenplaner dabei auf ungewöhnliche Ideen. Zwei Buchneuerscheinungen beschäftigen sich mit dem Thema.

 

CityTrop: Hol den Dschungel in die Stadt

CityTrop Foto: Ulmer Verlag
CityTrop Foto: Ulmer Verlag

Es wird exotisch! Der im Ulmer-Verlag erschienene Bildband „CityTrop“ mit ganzseitigen, üppigen Farbfotografien liefert visuellen Input aus Metropolen in aller Welt von Mailand bis Singapur. Ansprechend illustrierte Best-practice-Beispiele geben handfeste Vorlagen für Stadtentwickler. Autor Jonas Reif erörtert alle denkbaren Begrünungsvarianten von Moos, vertikalen und Stapel-Pflanzungen über Hinterhöfe, Verkehrsinseln, Vor- und Dachgärten bis zu In- und Outdoorgärten anhand einer Vielzahl tatsächlich bereits umgesetzter Projekte. Inspiration findet der Leser hier in Hülle und Fülle, das Buch sprudelt nur so vor Ideen, es gibt sogar ein Pflanzenlexikon – nur konkrete Anleitungen zum Anlegen eines Stadtgartens sollte er nicht erwarten. Lust darauf macht das Buch allemal.

CityTrop. Projekte und Pflanzen für grünere Städte von morgen. Jonas Reif. Ulmer Verlag. 2017. 192 S., 203 Farbfotos, Flexcover. ISBN 978-3-8001-0306-5. 29,90 Euro (D); Sie können das Buch direkt im Online-Shop des Verlages kaufen.

 

 

 

Bäume auf die Dächer, Wälder in die Stadt: der Autobahnwald

Bäume auf die Dächer, Wälder in die Stadt! Foto: Kosmos Verlag
Bäume auf die Dächer, Wälder in die Stadt! Foto: Kosmos Verlag

Wo „CityTrop“ bildgewaltig ist, ist „Bäume auf die Dächer – Wälder in die Stadt!“ textlastig. Gleich zu Beginn entwirft der Autor Conrad Amber eine Utopie, bei welcher der Leser auch ohne Bilder ins Träumen gerät – von einem Leben in der Stadt, das so naturnah ist, dass die Sehnsucht nach dem Land obsolet wird. Sein Ansatz besteht darin, Vorhandenes zu verbessern und beispielsweise das Autobahnnetz zu nutzen, indem am Straßenrand Bäume gepflanzt werden. Keine schlechte Idee, denn dass die Bevölkerung ansteigt, lässt sich nicht leugnen – weder Städte noch Straßen werden wohl in absehbarer Zeit verschwinden. Mit seinen Vorschlägen für den Autobahnwald geht Amber sehr ins Detail, von geeigneten Baumarten bis zu anzuwendenden Schnitttechniken beschreibt er alles genau. Auch neue Baumwege, grüne Häuser, die Rückkehr der Natur und wie der Wald als Ort der Erholung auszusehen hat, beschreibt Amber sehr konkret. Der Enthusiasmus des Autors ist beim Lesen des Plädoyers für mehr Bäume in der Stadt spürbar und viele der mutigen und guten Ideen sind sicher umsetzbar. Andere seiner idealistischen Visionen werden wohl aber eben das bleiben.

Bäume auf die Dächer, Wälder in die Stadt! Projekte und Visionen eines Naturdenkers. Conrad Amber. Kosmos Verlag. 2017. 272 S., 67 Farbfotos, laminierter Pappband. EAN: 9783440154038. 19,99 Euro (D); Sie können das Buch direkt im Online-Shop des Verlages kaufen.

 

Möchten Sie eines der beiden vorgestellten Bücher gewinnen? Bis zum 11. Juni 2017 haben Sie die Gelegenheit dazu! Erzählen Sie uns einfach, wie Sie die Stadt etwas grüner machen.

 

Grüne Science Fiction aus Paris

Ähnlich visionäre Vorschläge haben Architekten in Europas Metropolen. Frankreichs Regierung hat bereits im März 2015 ein neues Gesetz verabschiedet, das verlangt, dass Neubauten in Gewerbegebieten in Zukunft entweder einen Dachgarten oder aber Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien besitzen müssen. Der belgische Architekt Vincent Callebaut hat dort jetzt Großes vor. Er will das Stadtbild von Paris revolutionieren, indem er kurzerhand üppig bepflanzten Plusenergietürme oben auf die altehrwürdigen, aber wenig energieeffizienten Bauten der Stadt stellt. Alles wirkt organisch und lebendig, erinnert an Barcelonas berühmten Architekten Gaudi, nur zwei Dinge sind anders: die modernen Materialien und das viele Grün.

Noch verblüffender sind Callebauts Ideen für das Meer: Er hat, inspiriert von Quallen, schwimmende Städte auf dem Ozean entworfen, die aus Müll bestehen und als grüne Oasen mitten im Wasser 20.000 Einwohnern ein Heim geben. Tauchen Sie ein in seine Pläne, die an die Geschichten Jules Vernes‘ erinnern:

Video: Rob Ludacer

 

Eine Gartenbrücke über die Themse

In London sind die Planungen für ein spektakuläres grünes Projekt schon weit fortgeschritten. Die vom Ingenieurbüro Arup und Dan Pearson begrünte Gardenbridge in London soll eigentlich 2018 eröffnet werden – die Finanzierung scheint jedoch nicht sicher gestellt, nachdem der Bürgermeister dem Projekt die Unterstützung entzogen hat. Sie können dennoch die Aussicht auf die Themse schon heute mit diesem virtuellen 360-Grad-Viewer genießen! Je nach Jahreszeit soll die Bepflanzung wechseln und den Besuchern immer wieder etwas Neues bieten.

Video: The Garden Bridge

 

Riesenbäume aus Stahl in Singapur

In Singapur ist die Stadtbegrünung keine Vision geblieben, sondern wurde konsequent umgesetzt von den „Supertrees“, 50 Meter hohen, vertikal bepflanzten Stahlkonstrukten bis hin zu dem spektakulären dschungelhaften Hotel ParkRoyal. Die weltweit bekannten Begrünungsprojekte des Singapurer Archicktenbüros WOHA können Sie sich auf Ihrer Website ansehen, indem sie sich einfach durch die Karte von Singapur klicken:

Die weltweit bekannten Begrünungsprojekte des Singapurer Archicktenbüros WOHA können Sie sich auf Ihrer Website ansehen, indem sie sich einfach durch die Karte von Singapur klicken. Screenhot: WOHA.net
Die weltweit bekannten Begrünungsprojekte des Singapurer Archicktenbüros WOHA können Sie sich auf Ihrer Website ansehen, indem sie sich einfach durch die Karte von Singapur klicken. Screenhot: WOHA.net

 

Überlistung der Schwerkraft: Pflanzen-Hightech made in Germany

Auch in Deutschland machen Architekten und Forscher sich Gedanken. So auch Alina Schick von der Universität Hohenheim. Die Biologin hat den Dreh raus: Sie züchtet mit Hilfe von Rotation Pflanzen, die in die Horizontale statt nach oben wachsen. Das nennt sich „Gravitationsbotanik“ und beruht auf einer Apparatur, mit der die Forscher Sonne und Schwerkraft überlisten: das sogenannte Klinostat, das bereits vor mehr als hundert Jahren von Julius Sachs erfunden wurde. „Die GraviPlants drehen sich kontinuierlich und gleichmäßig um eine horizontale Achse“, erklärt Alina Schick das auf der Grundlage des Klinostats entwickelte System. „Durch diesen permanenten Richtungswechsel können die Pflanzen den Schwerkraftvektor und die Lichtquelle nicht mehr wie gewohnt wahrnehmen. Außerdem drehen sich die Pflanzen permanent ins Licht.“ Bislang wird die Technik vor allem in Innenbereich mit Zierpflanzen eingesetzt, die so wie Bilder an die Wand gehängt werden können. „Das hat einen hohen gestalterischen und ästhetischen Wert, sorgt aber zum Beispiel auch dafür, dass Abstellflächen nicht mit Pflanzen besetzt werden“, erläutert Schick die Vorteile. Doch auch der Einsatz von horizontal wachsenden Bäumen im Außenbereich ist möglich. Ganze Hauswände könnten so ergrünen. In dem Fall werden die GraviPlants an die Wasser- und Stromversorgung gekoppelt und online gewartet: „Über das Internet lässt sich hierbei bequem der Status der Pflanze überprüfen und auch Informationen können an das System geschickt werden. Versorgungswerte wie beispielsweise die Bodenfeuchte werden mit Sensoren gemessen und die Pflanze wird automatisch und bedarfsgerecht bewässert“, erklärt Schick.

Hat den Dreh raus: Alina Schick im Labor. Foto: Universität Hohenheim/Jan Winkler
Hat den Dreh raus: Alina Schick im Labor. Foto: Universität Hohenheim/Jan Winkler

 

Lesetipps für Stadtgärtner

Haben Sie jetzt selbst Lust bekommen, mit Ihren Pflanzen die Wände hochzugehen? Der BUND hat mehrere Broschüren für Heimgärtner herausgebracht. Hier finden Sie nützliche Tipps zur Pflanzenauswahl und Pflege abgestimmt auf Balkon, Wand und Dach oder Vorgarten.

Die nützlichen Broschüren für Stadtgärtner sind im BUNDladen zum Preis von 2,20 Euro pro Stück erhältlich. Foto: BUND
Die nützlichen Broschüren für Stadtgärtner sind im BUNDladen zum Preis von 2,20 Euro pro Stück erhältlich. Foto: BUND

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