Die Europäische Union hat eine Kommission eingerichtet, die eine Regulierung entwickeln und umsetzen will, die ein nachhaltiges Finanzgebaren innerhalb der Wirtschaftsgemeinschaft einführen soll.
Aber was genau bedeutet Nachhaltigkeit im Zusammenhang mit Finanzgeschäften? Welche Definitionen und Standards gelten momentan? Welche sind für eine umweltfreundliche Zukunft sinnvoll und wo bewegt sich ForestFinance in diesem weiten und leider nicht immer grünen Feld? Diese Fragen haben wir unserem Spezialisten für nachhaltige Geldanlagen, Bernhard Engl, gestellt.
Bernhard Engl ist seit Sommer 2017 bei ForestFinance für die Betreuung der Vertriebspartner und Tippgeber verantwortlich. Er hat nach dem Abitur, einer Ausbildung zum Landwirt und dem Studium der Agrarwirtschaft 1987 in die Banken- und Investmentbranche gewechselt, der er in unterschiedlichen Funktionen und Stationen in Deutschland und der Schweiz treugeblieben ist.
„Mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftige ich mich somit schon über eine sehr lange Zeit. Über acht Jahre war ich Vorstandsmitglied beim Forum Nachhaltige Geldanlagen e.V., dem Fachverband für Nachhaltige Geldanlagen (FNG). Neben einem Lehrauftrag an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde bin ich als Dozent und Referent in verschiedenen Fortbildungslehrgängen im Sektor Nachhaltigkeit tätig.“
In unserem Interview erklärt er den aktuellen Stand nachhaltiger Geldanlagen in Politik und Wirtschaft.
Experteninterview zu alternativen Geldanlagen und Sustainable Finance – 9 Fragen an Bernhard Engl
ForestFinance: Das Handelsblatt schreibt im Oktober 2018: „In Europa soll ein nachhaltigeres Finanzgebaren her. Das will die EU-Kommission mit neuer Regulierung erreichen. Den einen gehen die ersten Vorschläge zu weit, andere halten sie für zu kurz gegriffen. „Sustainable Finance“ scheint in aller Munde zu sein. Was genau verbirgt sich hinter dem Begriff?
Bernhard Engl: Das Thema „Sustainable Finance“ ist meines Erachtens in den letzten fünf Jahren aus der Nische herausgekommen und im Mainstream der Finanzindustrie angekommen, wobei dies wellenartig erfolgt. Zwei wichtige Ereignisse in den letzten Jahren gelten als entscheidende Eckpunkte in dieser Entwicklung. Der erste Punkt sind die im September 2015 beschlossenen „Sustainable Development Goals“ (SDG), um bis 2030 der Armut weltweit ein Ende zu setzen und den Planeten zu schützen. Auch ForestFinance sieht sich den SDG`s verpflichtet. Dies haben wir in einem ausführlichen Blogbeitrag dargestellt.
Der zweite Eckpunkt ist das Abkommen der Pariser Klimaschutzkonferenz COP 21 im Dezember 2015. Damals einigten sich 195 Länder auf ein rechtsverbindliches Klimaschutzabkommen, mit dem Ziel, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gegenüber der vorindustriellen Zeit auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen.
„Sustainable Finance“ ist für viele Beteiligte in der Finanzindustrie aber immer noch ein neues und oft unbekanntes Terrain, das Chancen und Risiken mit sich bringt. Der Nachholbedarf ist teilweise immens, was daran liegt, dass konkrete Nachhaltigkeitskriterien erst für den Geschäftsbetrieb entwickelt werden müssen und sich dann auch in der täglichen Arbeit widerspiegeln müssen. Mehr zu den Hintergründen und dem Status Quo der Entwicklungen erfahren Sie im Forum Nachhaltige Geldanlagen.
Was genau zeichnet eine nachhaltige Geldanlage aus?
Nachhaltige Geldanlagen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die klassischen Kriterien der Rentabilität, Liquidität und Sicherheit um ökologische, soziale und ethische Bewertungspunkte erweitern. Der Begriff „nachhaltige Geldanlagen“ kann als Überbegriff dieser Art von Geldanlagen gesehen werden. Es gibt ein große Anzahl unterschiedlicher Bezeichnungen: ethische Geldanlage, Green Money, Social Investment, ESG-Investment, SRI Investment.
Nachhaltige Geldanlagen ist die allgemeine Bezeichnung für nachhaltiges, verantwortliches, ethisches, soziales, ökologisches Investment und alle anderen Anlageprozesse, die in ihre Finanzanalyse den Einfluss von ESG-Kriterien (Environment Social Governance, Umwelt Soziales und Unternehmensführung) einbeziehen. Sie beinhalten eine explizite schriftlich formulierte Anlagepolitik zur Nutzung von ESG-Kriterien, wobei diese sehr unterschiedlich sein kann: Angefangen von den klassischen Ausschlusskriterien wie Atomkraft, Kohleproduktion oder – auf einzelne Staaten bezogen – die Todesstrafe, über einen Best-in-class Ansatz, der nur die „nachhaltigsten“ Unternehmen einer Branche berücksichtigt bis hin zu themenbezogenen Anlagen wie nachhaltige Rohstoffe (Wald, Agrar, Wasser etc.) sind, um nur ein paar zu nennen, sämtliche Kombinationen möglich. Informationen zu Ausschlusskriterien finden Sie hier.
An dieser Stelle will ich darauf hinweisen, dass der Anleger verschiedene Möglichkeiten hat, sich über das für seine Sichtweise der Nachhaltigkeit geeignete Produkt zu informieren. Neben den Internetauftritten der jeweiligen Kreditinstitute und Investmentfondsgesellschaften oder Anbietern von anderen Investitionsmöglichkeiten gibt es auch andere hilfreiche Seiten, die detailliert Auskunft über die Umsetzung der Nachhaltigkeit geben. Ich empfehle gerne die Seiten des Forums für Nachhaltige Geldanlagen.
Nachhaltige Geldanlagen in Deutschland, Österreich und der Schweiz – Übersicht 2017 (in Milliarden Euro)
Welche Rolle spielen nachhaltige Geldanlagen momentan auf dem Finanzmarkt?
Das Forum Nachhaltige Geldanlagen gibt jedes Jahr einen umfassenden Marktbericht über Nachhaltige Geldanalgen heraus. Ende 2017 sind in Deutschland rund 171 Milliarden Euro in Nachhaltigen Geldanlagen investiert. Die Summe ist ein Rekordniveau für diese Art der Geldanlage. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies nur ein kleiner Anteil am Gesamtanlagevolumen in Deutschland ist.
Sicherlich kann man an dieser Stelle festhalten, dass sich neben dieser speziellen und stringenten Art der Geldanlage, die Anbieter von Geldanlagen auch Gedanken machen können, wie sie nicht finanzielle Aspekte in die Anlagestrategie und -kriterien einfließen lassen können. Dies geschieht zum Beispiel dadurch, dass international anerkannte Normen wie die Genfer Konventionen bei der Auswahl der Investitionen berücksichtigt werden.
2018 hat die EU vier Richtlinien- bzw. Regulierungsvorschläge unterbreitet, in denen Nachhaltigkeitspflichten für institutionelle Anleger und Finanzberater enthalten sind. Für den europäischen Gesetzgebungsprozess soll vor allem ein Klassifizierungssystem (Taxonomie) für „grüne“ Geldanlagen entwickelt werden. Wie sollten Ihrer Meinung nach grüne Geldanlagen definiert sein?
Das ist eine ganz schwierige Frage, die ich nur subjektiv beantworten kann. Für mich ist von entscheidender Bedeutung, dass die „Dreifaltigkeit der Nachhaltigkeit“ – also alle drei Bereiche der Nachhaltigkeit: sozial, ökologisch und ökonomisch – gleichberechtigt nebeneinander stehen.
Sicherlich gibt es noch Ausschlusskriterien, die ich gerne berücksichtigt hätte wie den Ausschluss von Staaten mit Todesstrafe oder Verstößen gegen den Atomwaffensperrvertrag.
Meine beiden ehemaligen Vorstandskollegen im FNG geben im Ecoreporter ausführlich Auskunft über den EU-Aktionsplan und dessen „Nebengeräusche“. Wer ausführliche und fundierte Informationen zum Gesamtthemenkomplex lesen und mehr über die Schwierigkeiten bei der Umsetzung erfahren will findet sie hier.
Welche Mindeststandards gehören in eine solche EU-Taxonomie für Geldanlagen – laut Ihrer Erfahrung als Investmentexperte und Ihrem Austausch mit dem FNG?
Das FNG hat sich in einem sehr aufwendigen und langwierigen Prozess auf Mindeststandards einigen können, die für beide Seiten – Anleger und die Finanzindustrie, in diesem Fall die Investmentbranche – akzeptabel waren. Daraus ist das FNG-Siegel entstanden. Im Bereich „Siegel“ gibt es viele unterschiedliche nationale und internationale Herangehensweisen und Auszeichnungsrichtungen. Einen guten Überblick findet man auf utopia.de.
Ich kann mich noch gut an die vielen Sitzungen und Abstimmungsrunden erinnern, in die ich als damaliges Vorstandsmitglied involviert war, wie intensiv und leidenschaftlich wir um jeden einzelnen Punkt gekämpft haben. Es stellt sich bei der EU-Taxonomie grundsätzlich die Frage, welches übergeordnete Ziel erreicht werden soll. Ist man in Brüssel darauf aus einen Minimalkonsens der Wünsche aller EU-Staaten zu erzielen oder ist man bereit für strenge, aber im Sinne der Nachhaltigkeit und der globalen Verantwortung notwendige Mindeststandards festzulegen.
Die Standards des FNG-Siegels sind streng, aber im Hinblick auf die globalen Herausforderungen gerechtfertigt. Ich stehe nach wie vor hinter dieser Taxonomie und wünsche mir eine ähnlich stringente Handhabe auf EU-Ebene.
Meines Erachtens wird dieser Prozess nicht bis zum Ende der jetzigen Legislaturperiode des EU-Parlamentes beendet sein, was zur Folge hat, dass ich damit rechne, dass eine Verabschiedung und anschließende Umsetzung erst 2021 oder 2022 erfolgen wird.
Wie ist der Markt für Privatanleger, also nicht institutionelle Anleger, bezüglich Nachhaltigkeit geregelt?
Grundsätzlich hat jeder seine eigene Sichtweise und Einstellung zum Thema „Nachhaltigkeit“, so dass der Markt für Anlagemöglichkeiten für Privatanleger sehr groß ist. Auf der einen Seite kann man sich direkt bei nachhaltigen Banken informieren – eine Übersicht finden Sie auf utopia.de – oder auch bei klassischen Kreditinstituten wie Volks- und Raiffeisenbanken, Sparkassen und Geschäftsbanken nach Anlagemöglichkeiten erkundigen.
Wieso gibt es kein Transparenzlogo, ähnlich dem für Fonds, für andere Anlagemöglichkeiten?
Ein Transparenzlogo für andere Anlagemöglichkeiten gibt es tatsächlich in dieser Form nicht. Ich bin aber der festen Überzeugung, dass dies nur noch eine Frage der Zeit ist, da eine einheitlichen EU-Taxonomie zwangsläufig zu derartigen Prüfprozessen führen wird.
Welche Rolle spielt ein Unternehmen wie ForestFinance im Bereich „nachhaltige Geldanlagen?
ForestFinance spielt eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang. Der „Wald“ gilt als Synonym für das Prinzip der „Nachhaltigkeit“, das erstmals in der Festschrift „Sylvicultura oeconomica“ von Hans Carl von Carlowitz im Jahre 1713 erwähnt wurde. Momentan bieten nur zwei Unternehmen überhaupt Wald-Direktinvestments mit Verkaufsprospekten nach Kleinanlegerschutzgesetz an. ForestFinance gehört seit vielen Jahren zu den Vorreitern in diesem Segment und bedient einen wichtigen Bereich im Gesamtkontext der Nachhaltigkeit.
Wie sinnvoll finden Sie Kurse wie beispielsweise den Online-Zertifikatskurs „Certified Expert in Sustainable Finance“ von der Frankfurt School? Gibt es in dem Bereich viele Anbieter?
Ich halte derartige Kurse und Lehrgänge für sehr sinnvoll und wertvoll. Es gibt eine Reihe von Anbietern von Lehrgängen, die sich in erster Linie an MitarbeiterInnen von Kreditinstituten und Versicherungen, selbstständige FinanzberaterInnen oder Spezialisten in der Finanzindustrie richten. Neben der Frankfurt School of Finance möchte ich an dieser Stelle auch den Lehrgang von EcoReporter und des Forum Nachhaltige Geldanlagen erwähnen. (Dabei handelt es sich aber um keine abschließenden Aufzählung.)
Diese und andere Lehrgänge und andere können wichtige Bausteine einer Neuausrichtung der Beratung sein, werden aber meines Erachtens zu wenig genutzt.
Um sich als AnlegerIn mit dem Thema „Nachhaltigkeit“ und alternative Investments auseinanderzusetzen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Ich habe zusammen mit anderen Akteuren einen Leitfaden entwickelt, der interessierten AnlegerInnen ein Wegweiser sein kann, um Anlageentscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu treffen. Sie finden den Anlegerleitfaden hier und die Einführung für private AnlegerInnen hier.