Ich sehe was, was du nicht siehst – Pflanzenblindheit

Ich sehe was, was du nicht siehst: Pflanzenblindheit
Tiere, die wir als blind bezeichnen, nehmen von ihrer Umgebung sehr viel mehr wahr, als wir es in der Regel tun. Foto: Dirk (Beeki®) Schumacher auf Pixabay

Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen? Das ist nicht nur eine bekannte Redewendung, sondern auch ein wissenschaftliches Phänomen: die sogenannte Pflanzenblindheit. Während wir uns an Tiere meist gut erinnern können, ist das bei Büschen und anderer Vegetation nicht unbedingt der Fall – oder können Sie sich an den letzten Löwenzahn erinnern, dem sie begegnet sind? Die Nachbarskatze ist Ihnen wahrscheinlich eher im Gedächtnis geblieben.

Der Begriff der Pflanzenblindheit wurde 1998 von zwei amerikanischen Biologen geprägt: Elisabeth Schussler und James Wandersee. Sie meinten damit „die Unfähigkeit, die Pflanzen in der eigenen Umgebung zu sehen oder zu bemerken“. Das hat System: Kinder erkennen Tiere als Lebewesen, bevor ihnen dies bei Pflanzen gelingt. Erwachsene können bei Aufmerksamkeitstests Tiere schneller und besser wahrnehmen als Pflanzen, wie eine US-Studie zeigte.

Den Baum vor lauter Wald nicht sehen

Tatsächlich verhält es sich gerade umgekehrt wie in der eingangs genannten Redewendung: Unser Gehirn neigt dazu, ähnliche Dinge zu gruppieren – so eben auch grüne Pflanzen, die zumeist nah beieinander wachsen. Somit nehmen wir die Details nicht mehr wahr. Wir können den einzelnen Baum vor lauter Wald nicht mehr sehen. Krankhaft ist das nicht, sondern ganz normal.

Leider nimmt die Pflanzenblindheit in dem Maße zu, indem wir den Kontakt zur Natur verlieren. Problematisch wird das, wenn es um deren Schutz geht: Wer will schon schützen, was er nicht aktiv wahrnimmt? Während süße Tierbilder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, klickt man bei einer bedrohten Pflanzenart lieber schnell weiter. Langweilig. Ähnlich sieht es mit der Pflanzenforschung aus. In sozialen Medien dreht es sich bei Pflanzenbildern noch am ehesten um die Fragen „Ist das ein Unkraut und wie werde ich es los?“ oder „Kann man das essen?“ – selten entspinnt sich echtes Interesse oder gar Faszination um die grünen Wegbegleiter.

Baumsamen in Herzform. vielfalt statt artensterben
Ein Herz für Pflanzen. Foto: Katrin Spanke/ForestFinance

Natur-Entfremdung versus Natur-Sehnsucht

Und es wird schlimmer: Je seltener unsere Kinder den Wald entdecken, umso mehr greift die Pflanzenblindheit auch bei den nachfolgenden Generationen um sich. Unser Essen ist so stark verarbeitet, dass wir nicht einmal mit viel Fantasie mehr die darin verarbeiteten Pflanzen erkennen können. Wenn Klimawandel und Umweltsünden das Grünzeug hinwegraffen – wen interessiert’s? Wenn die eine oder andere Pflanze verschwindet, deren Namen eh keiner kannte, fällt es doch eh kaum auf.

Ein Geoffroy-Perückenaffe in einem ForestFinance-Wald. Auch im SchutzWald leben viele Affen – sicher vor Waldarbeitern und Rodungen. Foto: ForestFinance/Angel Flores
Was haben Sie zuerst beachtet, den Affen oder den Baum? Mit unserem SchutzWald können Sie beide für die Nachwelt erhalten. Foto: ForestFinance/Angel Flores

Unsere Pflanzenblindheit täuscht über die Realität hinweg: Pflanzen sind wichtig für uns – nicht nur auf dem Teller und in der Medizin, sondern auch ganz direkt und unmittelbar in unserer Umgebung. Eine aktuelle Studie zeigt: Menschen, die zwei oder mehr Stunden pro Woche im Grünen verbringen, sind gesünder und glücklicher als andere. Mehr Zeit in der Natur wirkt sich noch positiver aus. Ohne Natur gerät das Immunsystem durcheinander und psychische Krankheiten nehmen zu. Wer Studien keinen Glauben schenkt, kann es selbst ausprobieren und ein paar Stunden Ruhe im Wald tanken, zum Beispiel bei unserer Führung durch den Waldfriedhof in Hümmel – der Puls wird langsamer, der Körper entspannt sich.

Was hilft nun gegen die Pflanzenblindheit? Eigentlich ist es einfach: Der Mensch kann nur lieben, was er kennt. Die Heilmittel lauten daher: Waldspaziergänge, Gartenarbeit, Pflanzen zeichnen, Kräuter sammeln, selbst kochen, mit Naturmaterialien kreativ werden. Jeder kann seinen ganz persönlichen Zugang zur Natur finden – und Pflanzen wieder kennenlernen.

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