Dunkelgrüne und hellgrüne Geldanlagen

Interview mit Susanne Bergius, Journalistin und Expertin für nachhaltige Geld- und Kapitalanlagen

Susanne Bergius ist Diplom-Geographin und ausgebildete Wirtschaftsjournalistin. Sie befasst sich seit mehr als 35 Jahren mit den Wechselwirkungen von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Seit 2004 arbeitet Susanne Bergius als selbstständige Journalistin und Moderatorin für nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltige Kapitalanlagen in Berlin und ist seit 2008 für Konzeption, Organisation und Redaktion des monatlichen Handelsblatt Business Briefing Nachhaltige Investments zuständig. Es informiert vermögende und institutionelle Investoren, Finanzprofis und Unternehmen. Zudem schreibt sie für Online-Medien, Fachmagazine und Buchpublikationen. Wir haben den Newsletter in unserem Beitrag: Biodiversität als „Nebenwirkung“ vorgestellt. Im Interview wollten wir von ihr mehr über nachhaltige und alternative Geldanlagen erfahren.

Susanne Bergius, Expertin für nachhaltige und alternative Geldanlagen.
Susanne Bergius bei einem Vortrag über die SDG der UN, die Sustainable Developments Goals. Sie ist eine gefragte Expertin und Rednerin zum Thema nachhaltige und alternative Geldanlagen. Fotograf: Thomas Läuger / imug

Wie kam es, dass Sie sich als Journalistin und Moderatorin auf nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltige Kapitalanlagen spezialisiert haben?

Seit mehr als 30 Jahren beschäftigt mich das Querschnittsthema Nachhaltigkeit und seine unterschiedlichen Facetten. Als Diplom-Geographin habe ich viel über die Zusammenhänge zwischen natürlicher Umwelt, sozialen Strukturen und Wirtschaftswelt gelernt – eine ideale Basis, um danach als ausgebildete Wirtschafts- und Finanzredakteurin ökosoziale Aspekte mit zu bedenken. Das tue ich seither.

Erst schrieb ich einen Kolumne für einen Informationsdienst. Ab den 90er Jahren stellte ich zudem als Benelux-Korrespondentin des „Handelsblatt“ in Brüssel fest, dass im Ausland die öffentliche Diskussion um unternehmerische Verantwortung und nachhaltiges Wirtschaften eine große Rolle spielt. Demgegenüber gab es ein Diskussions- und Informationsdefizit in Deutschland. Wichtiges Element bei der Suche nach zukunftsfähigen Wirtschaftsweisen und Geldanlagen ist aber Information. Hier ein Rädchen im Getriebe zu sein, habe ich mir seit 2001 zur Aufgabe gemacht: Informationen zu liefern, Entwicklungen kritisch zu begleiten, Diskussionen anzuregen und zur Meinungsbildung beizutragen.

Im Idealfall fließen nachhaltige Geldanlagen in Unternehmen, die in jeder Hinsicht sozial, ökologisch und ökonomisch verantwortlich wirtschaften.

Susanne Bergius

Wie definieren Sie nachhaltige Investments?

Wichtig ist die grundlegende Unterscheidung von nachhaltigen und verantwortlichen Investments. Im Idealfall fließen nachhaltige Geldanlagen in Unternehmen, die in jeder Hinsicht sozial, ökologisch und ökonomisch verantwortlich wirtschaften. Sie sorgen für gute und sichere Arbeitsbedingungen und faire Entlohnungen, auch für die der Zulieferer überall auf der Welt. Sie setzen natürliche Ressourcen sehr effektiv ein, meiden umwelt- oder gesundheitsschädliche Inhaltsstoffe und schonen Ökosysteme. Mehr noch: Ihre Produkte und Dienste tragen zu zukunftsfähigen Wirtschafts- und Lebensweisen bei.

Diesem Ideal werden aber nur sehr wenige Unternehmen gerecht. Darum ist zu unterscheiden:

Nachhaltige Geldanlagen

sondieren und investieren in Akteure, die bereits glaubwürdig auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit sind, und meiden die anderen. Sie analysieren Unternehmen und Staaten mithilfe zahlloser Indikatoren und investieren in die öko-sozial leistungsstärksten. Anlagestrategien basieren auf Ausschlusskriterien und/oder so genannten Best-in-Class-Konzepten, die die besten der jeweiligen Branche herausfiltern. Noch strengere Konzepte stützen durchweg nachhaltige Geschäftsmodelle.

Verantwortliche Investments

sind demgegenüber so ausgerichtet, dass sie die schlimmsten Vergehen gegen internationale Umwelt- und Sozialstandards zu vermeiden versuchen und diesbezüglichen Risiken für die Anleger senken. Sie beachten einige zentrale Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekte – sogenannte ESG-Kriterien. Immer mehr Großanleger drängen zudem Unternehmen dazu, sich zumindest in diesen Bereichen auf den Weg zu nachhaltigerem Wirtschaften zu machen. Dafür nutzen sie ihr Stimm- und Rederecht auf Hauptversammlungen und / oder sprechen direkt mit Emittenten.

Entscheidender Ansatz bei beiden ist, dass Kapitaleigner und Vermögensverwalter beeinflussen können, wie sie ihr Eigentum bzw. die ihnen anvertrauten Gelder einsetzen.

Welche Kriterien müssen Investments erfüllen, damit Sie sie als „nachhaltig“ anerkennen?

Was nachhaltig ist, lässt sich nicht unbedingt an einem Katalog generell gültiger Kriterien oder Anlagekonzepte fest machen. Dafür gibt es zwei entscheidende Gründe:

Erstens ist Nachhaltigkeit nicht eindeutig, allgemeingültig und klar abgrenzbar definiert und – um es deutlich zusagen – das geht auch gar nicht! Dafür sind die geographisch-natürlichen, klimatischen, geschichtlichen, kulturellen, rechtlichen und religiösen Gegebenheiten sowie die damit verbundenen ökologischen, sozialen und gesellschaftlichen Erfordernisse und Bedürfnisse in den verschiedenen Regionen der Welt viel zu unterschiedlich.

Man kann verschiedene Gegebenheiten nicht mit derselben Messlatte beurteilen. Entsprechend können, ja müssen Wege zur Nachhaltigkeit je nach Orten, Regionen und Staaten unterschiedlich sein.  Auf die Frage, was Nachhaltigkeit ist und wie sie messbar ist, wird es demnach immer mehrere richtige Antworten geben. Wichtig ist darum, sich nicht auf eine Vorstellung zu fokussieren, sondern offen zu sein für alternative Wege sowie neue Erkenntnisse und Entwicklungen.

Dunkelgrün zu investieren kann viel Positives vor Ort bewirken. Aber …

Susanne Bergius

Das führt zum zweiten Grund: Viele Wege führen nach Rom. Dunkelgrün zu investieren kann viel Positives vor Ort bewirken. Aber wer aufgrund von Ausschlusskriterien Aktien verkauft, hat zwar ein gutes Gewissen ob seiner dunkelgrünen Geldanlage, aber er bzw. sie bewirkt nichts und hat auch keinen Einfluss mehr. Hingegen können Anleger, vor allem Großinvestoren, viel für eine nachhaltigere Entwicklung erreichen, wenn sie – allein oder gemeinsam mit anderen – gezielt Unternehmen dazu bewegen, umweltschädliche oder gegen Menschenrechte verstoßende Geschäftsaktivitäten zu beenden und bei ihren Unternehmensstrategien die UN Sustainable Development Goals zu beachten oder zu fördern.

Man mag diesen Ansatz als hellgrün bezeichnen, doch die Wirkkraft kann immens sein. Darauf kommt es an. Denn was nutzt es, wenn ein Bioladen zu hundert Prozent öko und fair ist, aber die meisten Menschen im Supermarkt einkaufen? Der muss sein Sortiment und seine Einkaufsstrategien also auch verändern. Wenn folglich die Finanziers der Wirtschaft ihre kräftigen Hebel zugunsten von Zukunftsfähigkeit nutzen, kann das durchaus nachhaltig sein.

Die Wirkkraft „hellgrüner“ Ansätze kann immens sein.

Susanne Bergius

Wie hat sich der „Markt“ für grüne Kapitalanlagen in den letzten Jahren aus Ihrer Perspektive entwickelt?

Ich spreche lieber von nachhaltigen Kapitalanlagen, weil „grün“ zu sehr auf Umwelt bezogen ist und bei grünen Anlagen vielfach soziale Kriterien fehlen, weswegen sie dann nicht nachhaltig sind.

Das Segment nachhaltiger Geldanlagen legt in Europa seit Jahren beträchtlich mit kräftigen, zweistelligen Zuwächsen von zwischen 22 und 57 Prozent zu, wie Studien zeigen. Große Teile des Marktes wachsen schneller als der gesamte europäische Kapitalmarkt. Zum einen weil sich viele Privatanleger nach dem Schreck der globalen Finanzkrise nachhaltig ausgerichteten Banken und Vermögensverwaltern zugewendet haben. Zum zweiten weil sich institutionelle Investoren zunehmend interessieren – schon weil sie Umwelt- und Sozialrisiken im Portfolio meiden wollen. Das Volumen nachhaltiger Fonds und Mandate stieg in den letzten 10 Jahren im deutschsprachigen Raum von 38 Milliarden Euro auf in 281 Milliarden Euro (2017).

Trotzdem liegt der Anteil dieses Segments am gesamten Kapitalmarkt noch immer unter zehn Prozent und je nach Land deutlich darunter.

Gleichwohl ist Nachhaltigkeit in den Mainstream des Kapitalmarktes hinein gewachsen: Allein im deutschsprachigen Raum stiegen verantwortliche Investments, die seit 2014 erfasst werden, seither von rund 675 auf 2.428 Milliarden Euro bis Ende 2017. Ohne die jahrzehntelange Vorarbeit der nachhaltigen Nische – zum Erkennen von Zusammenhängen, zum Entwickeln ethisch-ökologischer Standards, zur Sondierung von Kriterien – wäre der konventionelle Mainstream längst nicht in Bewegung gekommen.

Immer mehr institutionelle Anleger integrieren inzwischen tatsächlich wichtige Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekte in ihre Vermögensverwaltung und beachten systematisch Umwelt-, Sozial- und Governance-Kriterien bei der Wertpapieranalyse, bei Anlageentscheidungen und dem Portfoliomanagement. Sicher: Viele schließen nur einzelne Branchen aus, viele betreiben Greenwashing.

Susanne Bergius im Interview der „Initiative für nachhaltiges Investieren“ 2019.

Doch wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass aus dem kleinen Grüppchen um die UN- Prinzipien für verantwortliches Investieren eine weltumspannende Initiative mit 2300 Kapitaleignern, Vermögensverwaltern und Finanzdienstleistern mit addiert rund 80.000 Milliarden Dollar verwalteter Vermögen werden würde? Oder dass konventionelle Ratingagenturen auch Nachhaltigkeitsratings anbieten würden? Oder dass der Weltbörsenverband WFE einmal „ESG Guidance & Metrics“ und für die Mitgliedsbörsen „Sustainability Principles“ lancieren würde?

Niemand. Und doch ist all dies so gekommen. Das spricht für einen Bewusstseinswandel, selbst wenn auf dem Kapitalmarkt noch längst nicht alles im „grünen“ Bereich ist.

Sie sind seit 2008 für die Konzeption und Redaktion des monatlichen „Handelsblatt Business Briefing Nachhaltige Investments“ zuständig. Wie schwer beziehungsweise leicht ist es, dafür immer wieder die passenden Themen zu finden?

Themen gibt es wie Sand am Meer. Man braucht sie nicht zu finden, sie finden mich. Zumal ich quer zu allen Branchen recherchiere und Geschehnisse im deutschsprachigen Raum internationalen Entwicklungen gegenüberstelle. Überdies ist noch so viel zu erklären, um Menschen über verantwortliche Anlagekonzepte und Praktiken zu informieren und Vorurteile auszuräumen, dass mir die Themen sicher nicht ausgehen. Im Gegenteil: Es ist national, auf EU-Ebene und weltweit derart viel in Bewegung, positiv wie negativ, dass sich eher die Qual der Wahl ergibt und die Herausforderung, Schwerpunkte zu setzen.

Angesichts zahlreicher und mancherorts zunehmender nicht-nachhaltiger Strategien und Praktiken in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Finanzwelt, wird die journalistische Arbeit dazu – man könnte sagen leider – nicht ausgehen. Weil das so ist, ist insbesondere auch das Aufzeigen von Problemlösungen, neuen Wegen und zukunftsfähiger Ansätze umso wichtiger.

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betreut seit 2008 das Kundenmagazin ForestFinest und sämtliche Printprodukte als Redakteurin und Autorin. Sie schreibt am liebsten über nachhaltig Gutes, das sich für Mensch und Umwelt rechnet.

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