Interview mit Tina Lutz, Tropenwaldreferentin von Robin Wood.
Das aktuelle Magazin 2-2019 von Robin Wood ruft seine LeserInnen zum Protest gegen die umweltzerstörerische Industrie der Schoko-Giganten auf. Die Redaktion schreibt nach sorgfältiger Recherche: „Die Schoko-Industrie befeuert Entwaldungen für den Kakaoanbau, unmenschliche Arbeitsbedingungen und Niedrigstpreise, die keine existenzsichernden Einkommen ermöglichen. Konzerne wie Nestlé, Ferrero, Mondelēz International, Lindt & Sprüngli kaufen große Mengen an Kakao aus Ländern wie Ghana und der Elfenbeinküste, wo dem Kakaoanbau die letzten Regenwaldflächen zum Opfer fallen. Selbst in Schutzgebieten wird gerodet.“
Robin Wood ruft zu Protesten auf und sammelt Unterschriften, um ein verbindliches Sorgfaltspflichtengesetz für Unternehmen durchzusetzen, das Entwaldungen, Kinderarbeit und Menschenrechtsverletzungen für Kakao wirkungsvoll ausschließt. Wir haben die Tropenwald-Referentin von Robin Wood, Tina Lutz, zu der Aktion, deren Hintergründe und Hoffnungen befragt.
Sie schreiben in Ihrem Magazin, dass die Entwaldung in Ghana 2018 um 60 Prozent gestiegen sei und an der Elfenbeinküste um 26 Prozent – trotz der Selbstverpflichtungen der Kakaoindustrie und der Anbauländer. Woran liegt das und wie sieht das in den anderen Kakaoanbauländern aus?
Es hapert vor allem an der Umsetzung der zahlreichen Verpflichtungserklärungen. So hatten sich zum Beispiel die Regierungen der Elfenbeinküste, von Ghana und Kolumbien zusammen mit mehr als 30 der größten SchokoladenherstellerInnen und KakaoverarbeiterInnen im Rahmen der „Cocoa and Forest Initiative“ (CFI) dazu verpflichtet, die Regenwaldrodungen für Kakao zu stoppen. Tatsächlich hat die Entwaldung aber nur in wenigen Nationalparks nachgelassen, in anderen Regionen und Schutzgebieten schreitet die Entwaldung hingegen sogar schneller voran, wodurch sie insgesamt gestiegen ist.
Das liegt vor allen Dingen daran, dass die Schokoindustrie nach wie vor nur Niedrigstpreise für Kakao zahlt, die einfach keinen existenzsichernden und nachhaltigen Kakaoanbau ermöglichen. Die KakaobäuerInnen können es sich zum Beispiel schlicht nicht leisten, ihre Plantagen rechtzeitig zu verjüngen und Arbeitsschutzstandards umzusetzen. Da ist es für sie kurzfristig günstiger, neue Waldflächen für den Anbau zu roden und die Gesundheit der ArbeiterInnen aufs Spiel zu setzen. Die Unternehmen schließen Kakao aus illegalen Entwaldungen auch nicht konsequent genug aus.
Der Kakaoanbau ist der Haupttreiber für Entwaldungen in Westafrika. Aber auch in anderen Kakaoanbauländern wie Kolumbien, Indonesien, Peru oder Ecuador ist er neben anderen Faktoren, wie der Weidehaltung oder dem Palmölanbau, ein wichtiger Treiber für Entwaldungen.
„Der Kakaoanbau ist der Haupttreiber für Entwaldungen in Westafrika.“
Tina Lutz
Gibt es Kakaoanbauländer oder Unternehmen, die Kakao nachhaltig anbauen?
Wirklich nachhaltiger Kakaoanbau heißt vor allem Diversifizierung. Das heißt weg von Monokulturen und hin zu Agroforstsystemen, wo Kakao zusammen mit andern Pflanzen wie zum Beispiel Bananen und Maniok auf einem Feld wachsen. Das schützt vor Bodenerosionen und zu starker Sonneneinstrahlung, spart Kosten für Dünger und chemischen Pflanzenschutz und erhöht außerdem die Biodiversität.
Diversifizierung heißt aber auch, dass sich die KakaobäuerInnen nicht vom Kakaoanbau abhängig machen, sondern auch andere Einkommensquellen haben. Wichtig ist auch, dass möglichst viel Wertschöpfung im Anbauland passiert. Vor allem müssen die lokalen Märkte für Agrarprodukte gestärkt werden. Ein ganzes Bündel an Maßnahmen ist nötig, damit endlich ein größerer Teil des Preises, den wir hier im Laden für Schokolade ausgeben, auch tatsächlich bei der KakaobäuerIn ankommt.
Warum schaffen es die großen Hersteller trotz aller Versprechungen und Initiativen Ihrer Einschätzung nach immer noch nicht, auf zertifizierten, nachhaltig produzierten Kakao umzustellen und was wäre nötig, um sie dazu zu bringen?
Die Selbstverpflichtungen und Initiativen der Kakaobranche klingen meist sehr gut, jedoch ist die Umsetzung oft nur mangelhaft oder sie helfen nicht, die Situation vor Ort wirklich zu verbessern. Wenn ich aus wirtschaftlicher Not dazu gezwungen bin, meine Kinder auf den Plantagen schuften zu lassen, hilft mir auch der Neubau von Schulgebäuden nichts. Niedrige Preise konterkarieren häufig die Nachhaltigkeitsbemühungen.
Zudem fehlt es an wirksamen Kontroll- und Sanktionsmechanismen. Strenge Vorgaben allein helfen nicht, sie sorgen teilweise sogar dafür, dass zum Beispiel Kinderarbeit besser verschleiert wird. Solange die SchokoherstellerInnen keine Klagen oder Strafzahlungen befürchten müssen und VorreiterInnen auf dem Gebiet durch steigende Preise mit Wettbewerbsnachteilen rechnen müssen, wird sich die Situation in den Anbauländern nicht verbessern.
Auch Zertifizierungen können immer nur ein Teil der Lösung sein. Der Gesamteffekt ist relativ niedrig. Zertifizierungen haben bisher nicht signifikant dazu beitragen können, die BäuerInnen aus der Armut zu holen. Das Einkommen von zertifizierten Betrieben ist nur wenig höher als von nicht-zertifizierten BäuerInnen. Schokounternehmen und der Einzelhandel schauen meist erst einmal nach dem billigsten Label und ignorieren dabei oft die negativen Folgen ihres Preisdrucks. Zudem hat die steigende Nachfrage dazu beigetragen, dass die Kriterien nicht weiter verschärft wurden.
„Freiwillige Selbstverpflichtungen allein werden die Probleme daher nie lösen. Wir brauchen verbindliche rechtliche Regelungen.“
Tina Lutz
Welche Erfahrungen machen Sie bei Robin Wood mit Protest- und Unterschriftaktionen? Wie viele Menschen machen im Durchschnitt mit und wie reagieren die Unternehmen und Regierungsorganisationen auf die Unterschriften und Forderungen?
Wir machen durchweg positive Erfahrungen damit. Insbesondere Protestaktionen helfen, Probleme und mögliche Lösungsansätze in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir konnten schon oft dringend notwendige Diskussionen anstoßen und den notwendigen Druck für Veränderungen aufbauen. Aber wir sind nur ein Teil einer großen Bewegung.
Die Unternehmen zeigen sich im Allgemeinen offen gegenüber unseren Forderungen. Sie wissen, dass wir das Sprachrohr vieler kritischer KonsumentInnen sind. Wenn es sie nicht zu viel kostet, sind sie auch durchaus bereit, Forderungen umzusetzen.
Unternehmen ist längst bewusst, dass sie zu wenig für Kakao zahlen und dass Entwaldung und Menschenrechtsverletzungen weiterhin große Probleme sind. Solange aber ihre WettbewerberInnnen nicht bereit sind, ebenfalls voranzugehen und mehr zu zahlen, werden sie das nicht ändern. Der Kakaosektor trägt seinen Wettbewerb weiterhin hauptsächlich über Preise aus, Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen werden oft ignoriert. Freiwillige Selbstverpflichtungen allein werden die Probleme daher nie lösen. Wir brauchen verbindliche rechtliche Regelungen.
Für wie realistisch halten Sie Ihre Forderungen nach einem verbindlichen Sorgfaltpflichtengesetz für die Kakao- und Schokoladenindustrie und was genau würde das für die Unternehmen bedeuten?
Einige Unternehmen haben sich bereits mehr oder weniger öffentlich für ein verbindliches Sorgfaltspflichtengesetz auf EU-Ebene ausgesprochen. Insbesondere diejenigen, die schon in Nachhaltigkeitsprogramme und Transparenz investiert haben, wünschen sich mehr einheitliche Regeln. Auch fürchten sie sich vor einem Flickenteppich an verschiedenen nationalen Regelungen, an die sie sich dann teuer anpassen müssten. In mehreren EU-Ländern gibt es schon ähnliche Gesetze bzw. werden diese gerade erarbeitet.
Wir müssen aber aufpassen, dass eine Sorgfaltspflicht Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen auch wirklich effektiv verhindert. Daher darf es hier auch keinen „sicheren Hafen“ geben, der vor jeglichen Klagen und negativen Sanktionen schützt, wie von einigen Firmen bereits gefordert.
Für die Unternehmen würde es bedeuten, dass sie zuverlässig für Transparenz und Rückverfolgbarkeit sorgen müssen und verpflichtet sind, die Risiken für Menschenrechtsverletzungen und Entwaldung zu minimieren. Wenn sie ihren Sorgfaltspflichten nicht ausreichend nachkommen, müssen empfindliche Sanktionen greifen und auch Klagen von Betroffenen sollten unter bestimmten Bedingungen möglich sein. Ein solches Sorgfaltspflichtengesetz sollte für alle Agrarprodukte gelten, die mit einem erhöhten Risiko für Entwaldungen und Menschenrechtsverletzungen einhergehen, also zum Beispiel auch für Soja, Palmöl, Leder und Kautschuk.
Link zur Online-Unterschriftenaktion https://www.robinwood.de/kakaoprotest
Sie können das aktuelle Magazin von Robin Wood unter info@robinwood.de bestellen.
betreut seit 2008 das Kundenmagazin ForestFinest und sämtliche Printprodukte als Redakteurin und Autorin. Sie schreibt am liebsten über nachhaltig Gutes, das sich für Mensch und Umwelt rechnet.